Von Papiertigern und Engeln
BUNDjugend initiiert Umwelt-AGs an Schulen in Berlin und Brandenburg
»Umweltschutz geht uns alle an« - lange ist es her, dass mit diesem Slogan öffentlich für den Naturschutz geworben wurde. Nach zweieinhalb Jahrzehnten öffentlicher Aufklärung ist es um das Thema eher ruhig geworden, in den Köpfen der Jugend spielt es kaum noch eine Rolle. Dem will die Jugendorganisation des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) durch ein spezielles Schulprogramm entgegenwirken.
Hilflos steht die »Müllkönigin« auf der Bühne. Bunte Papierschnitzel - der Müll - regnen pausenlos auf sie herab und drohen sie und mit ihr das ganze Reich zu ersticken. Natürlich wird die Königin von einem tapferen Ritter gerettet. Doch das Happy End dieses kleinen Theaterstücks, mit dem sich die Umwelt-AG der Neuköllner »Grundschule am Teltowkanal« in Berlin beim Sommerfest ihren Mitschülern vorstellt, ist keine rauschende Hochzeit, sondern die Einführung der Mülltrennung. Seit einem Jahr beschäftigen sich zwölf Schüler der fünften Klasse in ihrer Freizeit mit Umweltfragen. »Anfangs ging es hauptsächlich um Müll«, berichtet Gülcan Nitsch, die AG-Leiterin, »wie man ihn vermeidet, trennt und wiederverwenden kann.« Die Tatsache, dass aus Altpapier Recyclingpapier gewonnen wird, gefiel den Kindern so gut, dass sie ihre AG »Papiertiger« tauften. Seit der Projektwoche im Mai verkaufen sie in Eigenregie an ihre Mitschüler Hefte und Schreibblöcke aus Recyclingpapier.Die Weisheit, dass man in der Schule für das Leben lernt, hat einen langen und vor allem alten Bart. Als immer wieder neu gilt allerdings, was alles nötig ist, um sich später in eben diesem Leben auch tatsächlich zurechtzufinden. Dem schulischen Bildungsauftrag werden deshalb immer wieder neue Themen hinzugefügt: Erziehung zur Toleranz, zur Verkehrserziehung, zum Schuldenmanagement. Als das Thema »Umwelt« in den 1980er Jahren eine breite Aufmerksamkeit erfuhr, schlug es sich bald in allen Lehrplänen nieder. Heute ist es zu einem Steckenpferd der Bürokratie geworden und in der Schule spielt »Umwelterziehung« nur noch die Rolle des Hintergrundrauschens: In Englisch lernen die Schüler ökologische Vokabeln, in Physik berechnen sie den CO2-Ausstoß eines Pkw. Bis in die Köpfe der Schüler dringt die »Umwelt« kaum noch vor.
Diese Entwicklung ist der BUNDjugend nicht entgangen. Die Jugendsparte des »Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland« (BUND), eine spendenfinanzierte Umweltorganisation, hat deshalb das »Projekt Z - Zukunft in die Schule« aufgelegt. »Damit unterstützen wir die Gründung von Umwelt-AGs an Schulen«, sagt Thorsten Haas, BUNDjugend-Projektleiter. »Die AGs sind freiwillig und finden außerhalb des Unterrichts statt. Es gibt keinen Lehrplan, Inhalte und Ziele werden zusammen mit den Schülern entwickelt. Damit das läuft«, so Haas weiter, »brauchen wir interessierte Schüler, engagierte Lehrer und motivierte Gruppenleiter, die sich als Ehrenamtliche engagieren.«
Im Schuljahr 2005/2006 wurden zunächst drei Umwelt-AGs an Berliner Schulen ins Leben gerufen: neben den Neuköllner »Papiertigern« gibt es eine AG an der Paul-Klee-Grundschule in Tempelhof, die einen Schulgarten anlegte, und eine am John-Lennon-Gymnasium in Mitte, die mit Hilfe einer Landschaftsarchitektin den Schulhof umgestaltete. Im Schuljahr 2006/2007 werden drei brandenburgische AGs dazukommen, in Potsdam, Eberswalde und Brück bei Belzig. Wie Thorsten Haas erklärt, setzt die BUNDjugend dabei auf möglichst junge Gruppenleiter. »Ausgangsgedanke ist "peer education", d.h. junge Leute teilen anderen jungen Leuten ihre Erfahrungen mit. Zwar vermitteln auch andere Verbände Fachleute, doch unsere Spezialität ist es, Projekte mit jungen Leuten zu entwickeln und durchzuführen.«
Besonders stolz ist er darauf, dass die Teltowkanalschule aufgrund der rührigen »Papiertiger« und dem von ihnen selbst organisierten Recyclingpapierverkauf von der Deutschen Gesellschaft für Umwelterziehung als »Europäische Umweltschule« ausgezeichnet wurde. Auch sonst entspricht die »Grundschule am Teltowkanal« so gar nicht dem Klischee einer Schule in Neukölln. Eine Hand voll zweistöckiger Flachdachhäuser, in denen sich die Klassenräume befinden, sind über das parkähnliche Schulgelände verteilt. Hinter einer hohen Hecke verläuft der Teltowkanal, auf dem dann und wann ein Schleppkahn vorbeistampft, ansonsten hört man nur Vogelgezwitscher, und in den Unterrichtspausen die hellen Stimmen der herumtollenden Kinder.
»Manchmal ist es schon anstrengend«, sagt die Gülcan Nitsch, »freitags haben die Kinder erst sechs Stunden ganz normal Unterricht und anschließend betreue ich sie noch zwei Stunden lang in der Umwelt-AG.« Erfahrungsgemäß nehme die anfängliche Begeisterung für eine neue AG nach ein paar Wochen wieder ab, sagt die Endzwanzigerin, die in ihrem Hauptberuf als Biologin im Schülerlabor der Berliner FU arbeitet. Doch bei den Papiertigern sei es anders gewesen. Am Anfang recherchierten die Kinder auf eigene Faust, wo es in Neukölln Recyclingpapier zu kaufen gibt. Das ernüchternde Ergebnis: In fast allen Geschäften gab es entweder Papier aus Frischfaserzellstoff oder aber so genanntes »Umweltpapier«. Gülcan Nitsch ging mit den Tigern auf einen Streifzug durch den Dschungel der vielen verschiedenen und oftmals irreführenden Umwelt-Logos. »Als ich ihnen vom "Blauen Engel" erzählte, wurden sie ganz aufgeregt. Plötzlich wollten alle das Logo zeichnen, groß und originalgetreu. Seitdem malen sie es ganz von sich aus vor jedem Treffen der Umwelt-AG an die Tafel.« Der »Blaue Engel« ist ein seit über 25 Jahren vom Bundesumweltministerium vergebenes Prüfsiegel für besonders umweltschonende Produkte und Dienstleistungen.
Die Vorstellung, dass Bäume gefällt werden müssen, damit sie in weiße Hefte schreiben können, bereitet den »Papiertigern« Unbehagen. Die 10-jährige Aylin sagt: »Ich mag Recyclingpapier, weil es aus 100 Prozent Altpapier besteht und dafür kein Holz gebraucht wird. Ich rette also die Bäume.« Und ihre Freundin Michelle fügt hinzu: »Ich weiß, wie und warum man recycelt. Wenn man die Regenwälder abholzt, verändert sich unser Klima und wir kriegen alle keinen Sauerstoff mehr und das finde ich gar nicht gut.« Beide haben sich vorgenommen, nie wieder weißes Papier zu benutzen. Und weil sie wollten, dass andere Schüler von ihrer Arbeit in der AG erfahren und ebenso denken, dachten sie sich zusammen mit den anderen Papiertigern das Theaterstück von der Müllkönigin aus.
Größeres Kopfzerbrechen bereitete ihnen die Frage, wie sie an die Hefte aus Recyclingpapier herankommen sollten. »Meinen vorsichtigen Vorschlag, dass sie selbst doch diese Hefte an ihrer Schule verkaufen könnten, griffen die Kinder begeistert auf«, sagt Gülcan Nitsch und wundert sich noch immer über den Enthusiasmus ihrer Tiger. »Und weil Kinder am besten von Kindern lernen, besuchten wir eine 6. Klasse im Friedrichshainer Dathe-Gymnasium, die schon Erfahrung mit dem Verkauf hatte.« Zur traditionellen Projektwoche im Mai war es endlich soweit: Sortimentauswahl, Bestellung und Finanzierung waren geklärt, jetzt konnte der Verkauf beginnen. »Sie sind richtige Verkaufstalente«, freut sich Gülcan Nitsch, »Sogar scheue Erstklässler ließen sich davon überzeugen, dass man einen wichtigen Beitrag für die Umwelt leistet, wenn man das Papier mit dem Blauen Engel kauft.«
www.bundjugend.de; <...
Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.