»Ich sehe keinen Grund, irgendwelche Konsequenzen zu ziehen«

Die Linken-Abgeordnete Inge Höger über das Toilettengate, den Aufruf »Ihr sprecht nicht für uns!« und den Nahostkonflikt

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.
Weil Gregor Gysi von zwei Journalisten, Max Blumenthal und David Sheen, auf dem Weg zur Toilette bedrängt wurde, ist die Empörung über drei LINKE-Abgeordnete groß, die den US-Amerikaner und den Kanadier zu Gysi geleiteten. In einem Aufruf »Ihr sprecht nicht für uns!« fordern 750 Linke Konsequenzen. Uwe Kalbe sprach mit einer der drei Kritisierten, Inge Höger.

In einem Aufruf haben rund 750 Linke, darunter der Bundesgeschäftsführer, Ihnen und drei weiteren Genossinnen Antisemitismus vorgeworfen und Konsequenzen gefordert. Sie zeigten sich »erschreckt« über das Ausmaß der Feindseligkeit. Was erschreckt Sie?

Wir waren zutiefst bestürzt darüber wie Gregor Gysi von den Journalisten bedrängt und anschließend im Netz bloßgestellt wurde. Wir haben uns bei Gregor Gysi dafür mündlich und schriftlich entschuldigt. Gregor Gysi hat die Entschuldigung angenommen. Die Debatte sollte innerparteilich fortgesetzt werden, aber die jetzige Härte erschreckt mich schon. Darüber hinaus bin ich konfrontiert mit einer Flut von wüsten Beschimpfungen bis hin zu Todesdrohungen.

Todesdrohungen?
Die erhalte ich seit den ersten Zeitungsartikeln. Daran sieht man, dass es um mehr geht als diese Veranstaltung mit den beiden Journalisten Sheen und Blumenthal, auf die sich der Aufruf bezieht. Ich hoffe deswegen sehr, dass Gregors Gysis Appell Gehör findet, die ideologischen Differenzen nicht anhand dieses Vorfalls auszutragen.

Das Fachgespräch wird in dem Aufruf mit Anführungszeichen versehen. Zumindest wird die Kompetenz der Teilnehmer damit in Frage gestellt. Was begründet nach Ihrer Ansicht deren Kompetenz?
Sheen und Blumenthal haben faktenreich und detailliert über ihre Beobachtungen im Gazakrieg und über rassistische Entwicklungen in Israel berichtet.

Kann man die beiden als Fachleute bezeichnen?
So etwas ist immer schwer zu definieren. Sie wurden als Fachleute zum Russell Tribunal und von zahlreichen Universitäten eingeladen. Und ich finde nicht in Ordnung, dass ihnen die Kompetenz abgesprochen wird, ohne dass die, die das tun, auf ihre Argumente eingehen.

Ist es ein Verstoß gegen das Grundsatzprogramm, rassistische Tendenzen in der israelischen Gesellschaft anzuprangern?
Unser Parteiprogramm verlangt, Rassismus immer und überall in der Welt anzuprangern.

Gibt es rassistische Tendenzen in der israelischen Gesellschaft?
Die gibt es ist zunehmendem Ausmaß in vielen Regionen der Welt, leider auch in Israel, und David Sheen ist nicht der Einzige, der dies feststellt. Ich fände es wichtig, dass man sich mit dieser Problematik auseinandersetzt. Statt die beiden darauf zu reduzieren, sie hätten unzulässige Vergleiche mit dem Naziregime gezogen.

Und, haben sie?
Ich habe in dem Fachgespräch keine solchen Vergleiche gehört, da dies jedoch ohne Übersetzung aus dem Englischen stattfand, kann ich das nicht abschließend beurteilen

Verstößt der Boykott israelischer Waren aus den besetzten Gebieten gegen das Grundsatzprogramm der LINKEN? Ist dies eine Form des Antisemitismus?
Ich sehe die LINKE als Partei des Völkerrechts. Ein Produkt, das in den Siedlungen produziert wurde ist völkerrechtlich gesehen illegal. Die Linksfraktion im Europäischen Parlament hat dies so auch immer wieder festgestellt. Mit Antisemitismus hat das nichts zu tun.

Angesichts der Zahl von Unterschriften unter dem Aufruf - stehen Sie und Ihre Mitstreiterinnen mit Ihrer israelkritischen Haltung allein in der Linkspartei?
Ich habe nicht nur Kritik, sondern auch Unterstützung erfahren, zum Beispiel in meinem Landesverband Nordrhein-Westfalen. Es wäre allerdings falsch, jetzt einen Gegenaufruf zu starten und in eine Art Wettbewerb zu treten. Ich denke aber, wir repräsentieren auch einen wichtigen Teil des Meinungsspektrums in der Partei.

Sehen Sie sich in Übereinstimmung mit dem Parteiprogramm?
Ja natürlich. Ich sehe mich in Übereinstimmung mit den völkerrechtlichen und friedenspolitischen Positionen dieses Programms. Zum Glück gibt es ja auch in zahlreichen Fragen Konsens, so in der gemeinsamen Ablehnung von Rüstungsexporten nach Israel und in die gesamte Region.

Der Aufruf fordert von Ihnen ja, Konsequenzen zu ziehen. Wie verstehen Sie diese Aufforderung, und welche Konsequenzen wollen Sie ziehen?
Ich sehe für mich keinen Grund, irgendwelche Konsequenzen zu ziehen. Maßgeblich für mich ist die Meinung des Landesverbandes, der mich aufgestellt hat. Der Aufruf lässt ja auch offen, ob es um das Abgeordnetenmandat geht oder etwa um Parteiaustritt.

»Ihr sprecht nicht für uns«, ist der Aufruf überschrieben. Das heißt dann wohl, dass Sie als abrüstungspolitische Sprecherin zurücktreten sollen.
Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, den Aufruf zu interpretieren.

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