Görli-Taskforce soll Sumpf trockenlegen

Innensenator Henkel kündigt neuen Steuerungskreis an / Anwohner sehen massiven Polizeieinsatz kritisch

  • Kerstin Ewald und Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Debatte um die Konsequenzen aus dem Messerangriff auf zwei mutmaßliche Dealer durch Gewerbetreibende nahe des Görlitzer Parks ist in vollem Gange. Anwohner kritisieren die Polizei.

Auffällig ruhig ist es am Dienstag am U-Bahnhof Görlitzer Park. Während die Polizei mit - auch für ungeübte Augen erkennbaren - mehreren Dutzend zivilen Einsatzkräften Präsenz zeigt, hat sich die Dealerszene offensichtlich an andere Orte verzogen. Nur ein aufgebrachter Mann mit Rastas unter der Ballonmütze und glasigen Augen beschimpft den einzigen uniformierten Polizisten. »Du hast Arbeit, ich habe keine!«, sagt er.

Ganz in der Nähe befindet sich auch die am Samstag verwüstete Shisha-Bar, eine Reaktion auf die Messerattacke auf zwei jugendliche mutmaßliche Dealer. Der Besitzer und dessen Bekannter sollen die jungen afrikanischen Dealer schwer verletzt haben. Die Polizei ermittelt wegen eines versuchten Tötungsdelikts. Ein aufgebrochener Zigarettenautomat, herumliegende Bierkästen, Shishas übermehlt mit Löschpulver aus dem Feuerlöscher erinnern an die gewalttätigen Ereignisse vom Wochenende. Ronny Meggle, der in einem Nachbarhaus lebt, erklärt dem »nd«, er fände »absurd«, dass die Besitzer der Shisha-Bar in den Medien nur als Opfer dargestellt werden. »Da waren nie Kunden und es fuhren lediglich ab und zu dicke Autos vor«, sagt Meggle. Außerdem sei es bedenklich, dass die Medien kaum über die brutale Tat und die prekäre Situation der Dealer sprechen, sondern nur über den Drogenhandel.

Die Wut und die Verzweiflung, die die Shisha-Bar-Betreiber wegen der Dealer angeblich im Vorfeld des Angriffes auf die jungen Dealer 70-mal die Polizei rufen ließ, können einige Kioskbetreiber und Kneipenbesitzer im Umfeld des Görlitzer Bahnhofs indes nachvollziehen. Sie beklagen Umsatzeinbußen, seitdem die Dealerszene nun auch hier angekommen ist.

Einige Anwohner sind außerdem genervt und fühlen sich eingeschüchtert von einer aggressiven Stimmung. »Meine Tochter ist 14, ihr wollen sie Drogen verkaufen. Selbst Leute mit Kindern bekommen Koks angeboten«, beschwert sich eine Kioskbetreiberin. Sie kritisiert aber auch die »halbherzige« Polizeistrategie: »Wenn die Polizei dauerhaft mit einem Einsatzwagen hier stehen würde, könnte hier niemand dealen. Die Razzien bringen aber nichts, denn zwei Stunden später sind die wieder hier.«

Nach der Kritik an der Auflösung der Ermittlungsgruppe »Görlitzer Park« Ende Oktober dieses Jahres will die Polizei jetzt ein neues Konzept erstellen. »Polizeipräsident Klaus Kandt hat den Auftrag erteilt, das Konzept kurzfristig zu erarbeiten«, sagt Polizeisprecher Stefan Redlich dem »nd«. Es soll eine »schnelle und nachhaltige« Lösung geben. Dass in den Boulevardmedien geschrieben wurde, die Polizei würde den Görlitzer Park aufgeben, sieht man im Polizeipräsidium anders. »Wir haben immer gesagt, die Polizei könne das Problem nicht alleine lösen«, betont Redlich. Außerdem habe es täglich Razzien im Park gegeben, die daraus resultierenden Fälle würden lediglich von anderen Kommissariaten bearbeitet.

Flankiert werden soll die geplante höhere Polizeipräsenz von einer behördenübergreifenden Taskforce, deren Gründung Innensenator Frank Henkel (CDU) am Dienstag in Aussicht stellte. »Wenn man einen solchen Sumpf trockenlegen will, braucht es einen umfassenderen Ansatz«, erklärte Henkel. Mit »der gleichen strategischen Ausrichtung« sollen unter Henkels Federführung Polizeipräsident, Justizverwaltung, Ausländerbehörde, Staatsanwaltschaft und das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg zusammenarbeiten.

Das Bezirksamt mit seiner Grünen-Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann hatte der Innensenator in den vergangenen Tagen immer wieder öffentlich dafür kritisiert, dass auch der Bezirk in der Pflicht stehe, zu einer Lösung beizutragen. »Ein Innensenator darf nicht den Verdacht aufkommen lassen, dass mit seiner Untätigkeit ein politisch unliebsamer Bezirk vorgeführt werden soll«, kritisiert der innenpolitische Sprecher der Grünenfraktion, Benedikt Lux. Die LINKE forderte Henkel und Grüne am Dienstag auf, sich endlich an einen Tisch zu setzen und aufzuhören, sich gegenseitig zu beschuldigen. »Nötig ist eine grundlegende Debatte über eine andere Drogenpolitik, die nicht auf Kriminalisierung, sondern auf Therapie und Aufklärung bei den Konsumenten setzt«, sagte der Innenexperte der Linksfraktion, Hakan Taş. Eine bundesweite Legalisierung würde zu einer Austrocknung des illegalen Drogenhandels beitragen.

Von einer solchen Diskussion ist Berlin allerdings weit entfernt. Die Devise der Stunde lautet nun: Durchgreifen! Bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) wird Henkels neue Taskforce deshalb begrüßt. Staatsanwaltschaft und Justiz sollen künftig »ebenfalls härter durchgreifen«, fordert die GDP-Landesvorsitzende Kerstin Philipp. Sie warnt aber auch vor Flickschusterei: »Heute ist es der Görlitzer Park, morgen der Alexanderplatz und übermorgen das beschauliche Köpenick.«

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