CDU billigte heimlich Kreisreform
Im Streit um die Regierungserklärung plaudert der SPD-Fraktionschef aus dem Nähkästchen
Nirgends in Deutschland hängt der Bildungserfolg so wenig von der sozialen Herkunft eines Kindes ab wie in Brandenburg. Das hob Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hervor, als er am Mittwoch in einer Regierungserklärung die Grundzüge der Politik der rot-roten Koalition in den kommenden fünf Jahren darlegte. »Gleiche Chancen für alle Kinder von Anfang an«, laute die Maxime. Dazu werde man den Betreuungsschlüssel in Krippen und Kindergärten verbessern und 4300 Lehrer einstellen.
Der Ministerpräsident kündigte an, »um jeden Industriearbeitsplatz zu kämpfen«, aber auch um die Jobs im Handwerk und in anderen mittelständischen Unternehmen. An der Braunkohle führe » auf absehbare Zeit kein Weg vorbei«, da Strom jederzeit und bezahlbar zur Verfügung stehen müsse. Die derzeit noch unzuverlässig bereitgestellte erneuerbare Energie müsse durch die Entwicklung der Speichertechnologie zu einer zuverlässigen Stromquelle gemacht werden.
Woidke räumt ein, dass nicht alle Brandenburger in der Lage seien, die Chancen der Gegenwart zu nutzen. Was das Bundesland nicht brauche, seien Menschen, »die aufgrund fehlender Unterstützung unterhalb ihrer Möglichkeiten bleiben«. Sozialer Aufstieg müsse für alle möglich sein. »Wir werden die Rahmenbedingungen dafür setzen.«
Rechtsextreme und ausländerfeindliche Bestrebungen werden auch in Zukunft auf den Widerstand der Gesellschaft stoßen, versicherte Woidke. Er kündigte ein Sonderprogramm für die Kommunen an, um die wachsende Zahl von Asylbewerbern unterzubringen. Diese Menschen sollen erleben, willkommen zu sein. Außerdem meinte Woidke, die gegenwärtig 18 Kreisverwaltungen seien auf jeden Fall zu viel für ein Land, wie es Brandenburg heute sei.
CDU-Fraktionschef Ingo Senftleben warf dem Ministerpräsidenten vor, eine enttäuschende und langweilige Rede gehalten zu haben. Mit erneut hohem Unterrichtsausfall habe das neue Schuljahr einen »Fehlstart« hingelegt. Rot-Rot habe in der Frage der Kreisneugliederung »Wählertäuschung« getrieben, betonte Senftleben und verurteilte den Plan, Cottbus, Brandenburg/Havel und Frankfurt (Oder) ihren Status einer kreisfreien Stadt zu nehmen. Daraufhin erklärte SPD-Fraktionschef Klaus Ness, in den Sondierungsgesprächen habe auch Senftleben die Eingliederung von Cottbus, Brandenburg/Havel und Frankfurt (Oder) in die umliegenden Landkreise gebilligt und dies obendrein sogar noch für die Stadt Potsdam gefordert. »Das werden Sie nicht mehr los«, sagte Ness.
Dieser Stil stieß auf den Widerspruch des Landtagsabgeordneten Christoph Schulze (Freie Wähler). Vertraulichkeit dürfe nicht auf eine solche Weise verletzt werden. »Ich hoffe, das war ein einmaliger Ausrutscher. Wenn ich aus vertraulichen Gesprächen mit den Vertretern der Regierungskoalition zitieren würde, dann wäre das auch nicht lustig.«
Der Abgeordnete Axel Vogel (Grüne) nannte das Verhalten von Klaus Ness »schäbig« und seine Offenbarung einen »beispiellosen Vertrauensbuch«. Immerhin seien die Sondierungsgespräche unter dem Siegel der Verschwiegenheit geführt worden und Ness habe geplaudert, »um den Gegner zu desavouieren«.
AfD-Fraktionschef Alexander Gauland behauptete, im Unterschied zu den etablierten Parteien nehme seine Partei die Ängste der Bürger ernst. Er gab zu, dass in Brandenburg die Zahl der Flüchtlinge keineswegs als unlösbares Problem anzusehen sei, beharrte aber darauf, die brandenburgische Politik müsse so tun, als sei das anders, anstatt gegen irrationale Stimmungen Front zu machen. Gauland nannte die postulierte Willkommenskultur eine »Phrase«. Nur 700 Lehrer werden Gauland zufolge wirklich neu eingestellt, der große Rest sei lediglich Ersatz für Lehrer, die pensioniert werden. Er gab sich nicht mit der Erklärung der Regierung zufrieden, den Flughafen BER so schnell wie möglich fertigzustellen. Inzwischen summierten sich die Kosten auf acht Milliarden Euro statt der ursprünglich veranschlagten zwei Milliarden.
Der stellvertretende Linksfraktionschef Ralf Christoffers sagte, was die AfD in der Flüchtlingspolitik fordere, habe mit Humanität »nichts, aber auch gar nichts zu tun«. Christoffers verwies auf eine Forderung aus diesem politischen Dunstfeld, Flüchtlinge aus dem arabischen Raum dort zu belassen, »obwohl diese Regionen gerade zerfallen und sich auflösen«. »Das Benennen von Problemen ist keine Politik«, sagte Christoffers. Lösungsansätze auf humaner und sozialer Grundlage vermisse er bei der AfD. Christoffers bestand darauf, dass es auch Anliegen von SPD und LINKE sei, die Bürger in schwierigen Fragen »mitzunehmen und um Akzeptanz bei ihnen zu werben«.
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