Abgekaufte Demokratie

Martin Leidenfrost über Liechtensteiner Verhältnisse und politische Müdigkeit am oberen Ende der Wohlstandsskala

  • Lesedauer: 4 Min.

Liechtenstein sieht wie eine lebendige Demokratie aus, mit hoher Wahlbeteiligung, zahlreichen Referenden und gepfefferten Leserbriefdebatten in den beiden Tageszeitungen. Da die insgesamt elf Dörfer - zehn im Rheintal und ein Walserdorf am Berg - in drei alemannische Unterstämme zerfallen, ist das Fürstentum föderalistischer strukturiert als zum Beispiel die 106 721 mal so große Russische Föderation: Das Unterland, vom Oberland durch ein Kopfsalatfeld getrennt, genießt laut Landtagsbroschüre eine Sperrminorität: »Das Unterland wird bevorteilt und als Minderheit geschützt.«

Und doch ist Liechtenstein keine Demokratie. Der Fürst kann jeden Beschluss mit seinem Veto kippen. Eine »Demokratiebewegung« freilich existiert. 227 der 37 000 Einwohner sind Mitglieder. Ich will erfahren, warum es sie immer noch nicht gibt, die Liechtensteiner Demokratie.

In Vaduz sind nach Bankschluss alle Parkplätze frei. Die Grenzgänger aus dem Ausland sind angehalten, das Land nach der Arbeit zu verlassen, und sie tun das gerne. Ich setze mich in eine Sitzung des Landtags. Alle 25 Abgeordneten sind am runden Tisch versammelt. Ihre Redekünste sind begrenzt. Der die schärfste Attacke reitet - »das sage ich bewusst, da wird davon gefaselt …« - , bleibt dabei im Manuskript hängen. Ich bin der einzige Zuhörer. Immer wieder drehen sich Abgeordnete erstaunt nach mir um.

Die Demokratiebewegung, vorwiegend von Rentnern getragen, schickt mir das einzige junge Vorstandsmitglied. Marco Fausch, 27, ein Hipster mit wallendem Bart. Er arbeitet mal für einen Fonds, mal in einer Katzenfutterfabrik, mal als Kulturbeamter. Er spottet ohne Scheu: »Liechtenstein ist eine Kaufnation. Es ist das einzige Land, das nach dem Menschen benannte wurde, der es gekauft hat. Wir sind der letzte Rest des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Manche Aussagen des Fürsten deuten darauf hin, dass er immer noch da lebt.«

Als Unterländer lacht Fausch über die Feindseligkeiten mit den Oberländern, macht aber gleichzeitig eine weitere Kulturgrenze auf: Vaduz und Schaan, der Finanzhauptort und das Industriegroßdorf, seien, obwohl beide im Oberland gelegen, »ein bisschen wie Istanbul und Ankara«. Die Türkei kennt er, er war bei den Protesten im Gezi-Park. Die Istanbuler Demonstranten wunderten sich über ihn: »Euch geht’s ja gut. Warum setzt ihr euch für Demokratie ein?«

Die Hauptfigur des Gesprächs ist »der Fürst«. Hans-Adam II. ist Banker, Winzer, Förster, Kunstsammler; das Vermögen des Multimilliardärs übersteigt das Bruttoinlandsprodukt des Staates. »Ihm gehört der Name des Staates«, »er legt die Leitplanken der Demokratie fest«, »es gibt eine geballte Fürstentreue«, sagt Fausch. Seine Gegenspieler heißen »Fürstenfeinde«, einer habe mal einen Schweinskopf vorm Haus gefunden. »Gefahr für Leib und Leben besteht nicht«, aber aus Angst vor wirtschaftlichen Nachteilen bleibe mancher Demokratiebewegte anonym.

Ich frage Fausch nach Liechtensteins Reichtum. »Sind die Liechtensteiner so fleißig?« - »Natürlich nicht. Der Finanzplatz bietet gegenüber Frankfurt und London eine Steuerersparnis von 20 bis 30 Prozent. Liechtenstein grast Steuersubstrat ab.« - »Ist das ein Parasitenstaat?« Der Liechtensteiner Hipster, der als Risikomanager in der Finanzbranche selbst nur drei Prozent Einkommenssteuer bezahlte, erschrickt ein wenig. Er überlegt lange. »Zu einem gewissen Grad ja.«

Schließlich müssen wir über die große Niederlage sprechen. 2012 erreichte die Demokratiebewegung ein Referendum, mit der zumindest das Vetorecht des Fürsten auf Volksentscheide abgeschafft werden sollte. Die teuren PR-Berater des Fürsten konterten mit dem Argument, der Vorschlag bringe »die Balance zwischen Fürst und Volk durcheinander«. Das Referendum ging mit 76 Prozent verloren. »Das war ein Stück weit ein Eigentor. Das schmiert uns der Fürst jetzt ständig um die Nasen - dass er ein undemokratisches Recht demokratisch legitimiert hat.«

Ich verabschiede mich. »Die anderen sind müde«, sagt Fausch. Interessant, denke ich in der leeren Tiefgarage der Fürstenbank. Mir begegnen in Europa sonst nur Leute, die ihre Bürgerrechte aus Armut hergeben würden, für ein wenig zu essen letztlich. Scheinbar greift das Phänomen am anderen Ende der Wohlstands-Skala wieder. Auch ab einem Pro-Kopf-Einkommen von 100 000 Euro jährlich lässt man sich die Demokratie abkaufen.

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