Der Trumpf
Im Kino: Nadav Schirman porträtiert in »The Green Prince« einen palästinensischen Informanten für Israel
Wäre die Geschichte nicht von dritter Seite dokumentiert, man würde sie kaum glauben. Und selbst angesichts eines Fernsehinterviews, in dem CNN-Starreporterin Christiane Amanpour sich mit dem Titelhelden dieses Dokumentarfilms unterhält, dem Sohn eines Hamas-Mitgründers, der sich vom israelischen Inlandsgeheimdienst Schin Bet umdrehen ließ, bleiben Restzweifel. Die Person Mosab Hassan Yousef ist wohl real existent – wofür zumindest indirekt auch eine Webseite spricht, auf der sein Vater sich von seinem ältesten Sohn lossagt. Wie wahr die hier präsentierte Geschichte tatsächlich in allen ihren Details ist, bleibt trotzdem bis zum Ende fraglich.
Der israelische Filmemacher Nadav Schirman (»In the Darkroom«) hat schon in früheren Filmen bewiesen, dass er sich für die persönlichen Kosten eines Lebens in Untergrund oder Geheimidentität interessiert. Diese Geschichte muss ihm also wie ein Geschenk des Himmels erschienen sein: »Sohn der Hamas« lautet der Titel der Autobiografie, die Mosab Hassan Youssef nach seiner Übersiedlung in die USA, seiner Konversion zum Christentum und angesichts einer drohenden Abschiebung wegen Terrorverdachts publizierte. »Ein Geschenk des Himmels« nennt umgekehrt übrigens der palästinensische Ex-Spion seinen früheren israelischen Führungsoffizier Gonen Bin Yitzhak. Der wurde seinerseits nach eigenen Angaben 2006 von seinem Geheimdienst Schin Bet wegen seiner unorthodoxen Führungsmethoden entlassen und ist heute als Anwalt in Tel Aviv tätig. Seinen einstigen Schützling bewahrte er aber trotzdem erfolgreich vor der Deportation aus den USA.
In einem Shin-Bet-Verhörraum – für den Film in einem Münchner Studio nachgebaut – sitzen mal Mosab Hassan Youssef, mal Gonen Bin Yitzhak bei kränklich grünem Licht an einem Tisch und erzählen ihre gemeinsame Geschichte nach. Die Hamas ist für den Sohn ihres Mitbegründers, des anti-israelischen Hasspredigers Hassan Yousef aus Ramallah, damals »ein Familienunternehmen«. Waffenkauf brachte den Siebzehnjährigen erstmals in ein israelisches Gefängnis. Unter den palästinensischen Sicherheitsgefangenen im Megiddo-Gefängnis will er die Erkenntnis gewonnen haben, dass die Hamas auch nicht viel mehr als ein Mörderhaufen sei. Schließlich wurde er als heimliche Trumpfkarte vom israelischen Geheimdienst rekrutiert. Von ihm erhielt der Sohn von Scheich Yousef den Codenamen »grüner Prinz«.
Mosab Hassan Youssef fand offenkundig eine Vaterfigur in Bin Yitzhak (der eigene Vater saß ja ständig in israelischen Gefängnissen). Eine Vaterfigur, mit der er reden konnte oder jedenfalls reden zu können glaubte – zum Beispiel über die Vergewaltigung, deren Opfer er als Teenager wurde – eine wahre Geschichte, die spätere Erpressung durch Schin Bet nach sich zog? Ben Yitzhak spricht von psychologischer Kriegsführung, von Finten, um seinen Informanten enger noch an sich zu binden, vom »Spiel«, das das ganze gewesen sei, mit dem Informanten als Spielzeug. Und entwickelte offenbar trotzdem eine starke Empathie für seinen grünen Prinzen.
Schirman unterteilt die Gespräche in thematische Kapitel, schneidet Spielszenen dazwischen, die das damalige Geschehen nachstellen, setzt gelegentlich historische Aufnahmen ein, die Hassan Yousef und Sohn zusammen zeigen, unterwegs in Hamas-Zusammenhängen, oder lässt ominöse Drohnen über israelischen Straßenkreuzungen schweben, deren Bilder die Omnipräsenz der Überwachung suggerieren – während Archivmaterial über palästinensische Attentate, die nicht verhindert werden konnten, gleichzeitig nahelegen, dass auch die beste Trumpfkarte irgendwo an ihre Grenzen stößt.
Die Bilder sind fast durchgängig grünlich, bräunlich, dunkel, der Ton ist einer der Verstrickung und Verschwörung. Mord und Folter sind allgegenwärtig, ob von Seiten der Israelis, die den jungen Palästinenser schon mit einem »Willkommen im Schlachthaus« (auf Arabisch) begrüßen, als er das erste Mal eines ihrer Gefängnisse betritt. Oder von Seiten der Hamas, die in der temporären Sammelunterbringung palästinensischer Gefangener am Megiddo-Gefängnis während der Zweiten Intifada angebliche Überläufer gleich hundertfach quälte oder um die Ecke brachte – zumindest nach Aussage des »Grünen Prinzen«.
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