Marktbereinigung, Ländersachen und nachhaltige Arbeitsplätze
klimaretter.info: Frau Kemfert, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel will, dass Energiekonzerne bis 2020 bei ihren Kohlekraftwerken 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen. Einen richtigen Kohleausstieg hat der SPD-Minister bislang immer abgelehnt. Ist sein Vorschlag ein Durchbruch?
Claudia Kemfert: Gabriels Vorstoß geht in die richtige Richtung. Aber: Bis 2020 muss Deutschland etwa 70 Millionen Tonnen CO2 einsparen, wenn es sein Klimaziel erreichen will. Wenn im Stromsektor nur 22 Millionen Tonnen CO2 vermindert werden, wird man in allen anderen Sektoren erhebliche Anstrengungen für mehr Klimaschutz unternehmen müssen. Wie das zu leisten sein wird, bleibt abzuwarten.
Es wird kein Weg daran vorbei führen, alte, ineffiziente Kohlekraftwerke nicht mehr auf dem Markt zu halten. Derzeit gibt es einen massiven Angebotsüberschuss beim Strom, wir schwimmen geradezu darin. Das hat die Konsequenz, dass die Strompreise an der Börse fallen – wir verramschen den kostbaren Strom dort und verkaufen große Mengen ins Ausland.
Die notwenige Marktbereinigung kann zu einer doppelten Dividende führen: Durch das Abschalten der Kohlekraftwerke werden die Emissionen gesenkt, zudem wird der Strompreis an der Börse wieder steigen und die Wirtschaftlichkeit der restlichen Kraftwerke wieder verbessern. Vor allem könnten die für die Energiewende so wichtigen Gaskraftwerke, aber auch Pumpspeicherkraftwerke an Wirtschaftlichkeit gewinnen.
Zwischen den deutschen Bundesländern bestehen enorme Unterschiede in Bezug auf Nutzung und Förderung der Erneuerbaren. Das ergab eine Studie, an der auch Ihr DIW beteiligt war. Was sollten wir daraus mitnehmen?
Der Bundesländervergleich zeigt vor allem, dass jedes Bundesland trotz unterschiedlichster Ausgangsvoraussetzung beim Ausbau der erneuerbaren Energien punkten und seine Stärken noch verbessern kann. Wir legen diese Studie zum vierten Mal vor und konnten beobachten, das die Bundesländer unser Ranking als Ansporn nehmen, sich zu verbessern. Den Wettbewerb mit anderen Bundesländern suchen sie durchaus. Es ist eine enorme Dynamik zu beobachten.
Vielen Bundesländern ist eine Verbesserung in einigen unserer 60 Einzelfaktoren gelungen. Besonders stark entwickelt haben sich in den vergangenen zwei Jahren Bayern beim Ausbau erneuerbarer Energien, Baden-Württemberg bei der energiepolitischen Programmatik und Mecklenburg-Vorpommern bei der Gestaltung des Strukturwandels. Der Spitzenreiter Bayern könnte beim nächsten Mal deutlich zurückfallen, wenn er den Ausbau der erneuerbaren Energien wie mit der 10-H-Regelung weiter behindert.
Schlusslicht ist und bleibt Berlin, das die Potenziale der Erneuerbaren in fast allen Bereichen ungenutzt lässt. Im Vergleich zu Berlin haben sich die anderen beiden Stadtstaaten Bremen und Hamburg deutlich mehr verbessert. Vor allem Bremen punktet beim Ausbau der Windenergie und investiert vergleichsweise viel in Forschung und Bildung.
Am Montag beginnt die Weltklimakonferenz in Lima. Es wird hauptsächlich um Ziele und Zeitpläne, weniger um die Klimaschutzinstrumente selbst gehen. Dabei hat gerade erst die Weltbank ein Dokument veröffentlicht, das zur Einführung eines weltweiten CO2-Preises aufrief – 74 Staaten schlossen sich der Erklärung an, auch Deutschland. Brauchen wir einen globalen CO2-Mindestpreis?
Unbedingt. Es wäre ein wichtiger Schritt, wenn in allen Staaten ein Preis für den Kohlendioxidausstoß existieren würde. Das könnte das Verbrennen von Kohle beenden und finanzielle Anreize für klimaschonende Investitionen geben. Die Idee ist sehr gut, aber ob die einzelnen Länder tatsächlich mitziehen und sie in nationales Recht umsetzen? Der Klimawandel ist zwar ein globales Problem, Klimaschutz findet bisher aber vor allem lokal statt. Deshalb bleibt es abzuwarten, wie ernst man die Zustimmung der 74 Staaten nehmen kann.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Mich überrascht immer wieder, wie sehr sich die Gewerkschaften darüber einig sind, dass sie die Arbeitsplätze in der Kohleindustrie unbedingt erhalten wollen. Von den Arbeitsgebern erwarte ich das ja, auch von den Industrieverbänden. Beim Umbau des Energiesystems geht es doch aber um einen Strukturwandel, und zwar hin zu den neuen und innovativen Energietechnologien. Die Bundes- und Landesregierungen sind gefragt, diesen Strukturwandel zusammen mit allen Beteiligten zu begleiten. Die Arbeitsplätze, die dabei entstehen, sind besonders nachhaltig – die Gewerkschaften sollten gerade das unterstützen.
In einem Jahr sind jetzt allein in der Solarbranche 40.000 Arbeitsplätze verloren gegangen, fast so viel wie die gesamte Kohleindustrie. Ich frage mich manchmal, was passiert wäre, wenn die Gewerkschaften sich mit Vehemenz für den Erhalt dieser vielen Arbeitsplätze eingesetzt hätten, die sie jetzt für die Kohle-Branche aufbringen. Warum es da so gar keinen Aufschrei gibt, bleibt mir ein Rätsel.
Fragen: Susanne Schwarz
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