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Organisation und Konformität
Zwei Handbücher befassen sich mit emanzipatorischer Praxis – und stehen sich selbst im Weg
In Münster muss es in den Jahren vor 2007 einmal den für personell überschaubare politische Szenen nicht untypischen Sexismusskandal gegeben haben: In einer länger währenden Beziehung wird ein sexueller Übergriff behauptet; das wird dann im Bekanntenkreis bekannt, alle zerreißen sich den Mund darüber und positionieren sich je nach komplexer »Sachlage« und/oder persönlicher Sympathie an der Seite der jeweilig Betroffenen. Politisch sind solche tragischen Situationen im Grunde genommen nicht mehr glücklich aufzuheben. AntisexistInnen sehen das aber anders. Vier angehende anonyme Akademikerinnen setzten sich an den Schreibtisch und verfassten 2007 unter dem Gruppennamen Re.ACTion ein »Handbuch für die antisexistische Praxis«. Glaubt man hier der Verlagswerbung, so eröffnet dieses Buch einen »Ausweg aus dem Kreislauf üblicher Debatten zum Umgang mit sexualisierter Gewalt und zeigt einen emanzipatorischen Ansatz auf«. Wenn das so stimmt, dann ist das natürlich ganz wunderbar!
In ihrem Text machen sich die Verfasserinnen für die unbedingte Geltung und Anwendung des sogenannten Prinzips »Defintionsmacht« für Frauen stark. Das heißt: Behauptet eine Frau, Opfer sexualisierter Gewalt geworden zu sein, so ist ihr unbedingt zu glauben. Jede Art der Nachfrage oder des Zweifels hat zu unterbleiben. Warum? Man könnte eben dadurch das sich selbst zum »Opfer« erklärende Subjekt einer Retraumatisierung aussetzen, und betreibe womöglich einen nur perfide zu nennenden »Täterschutz«. Nun ist es nicht so, dass die Verfasserinnen nicht doch um ein paar Schwierigkeiten in der Anwendung dieses ultimativen Verbrechenverwaltungskonzeptes ahnen. Sie schreiben sogar selbst davon, dass »ein Missbrauch der Definitionsmacht« niemals ganz auszuschließen sei, um dann allerdings stante pede unmissverständlich zu diktieren: »Auf diesem Argument herumzureiten, offenbart aber nur zu deutlich die Interessenslage potenzieller Vergewaltiger – oder allgemeiner gesprochen – sexistischer Männerinteressen, weil jede Wahrscheinlichkeit dagegen spricht.«
Bislang habe ich noch keine präzisere Definition von Stalinismus, geschöpft aus dem autonom-antisexistischen Milieu selbst, gelesen: Ein Sexualstraftäter ist definitiv der, der widerspricht! Das ist die klar zu verstehende Botschaft der Münsteraner Antisexistinnen mit ihrer Aussage über die besagten »Vergewaltiger«, die nur deshalb noch als »potenziell« bezeichnet werden, weil sie noch nicht durch die Markierung eines verbalen Widerspruchs enttarnt werden konnten. Da weiß man nicht sehr viel, aber doch eins: In sehr bedrohlicher Art und Weise hat das definitiv nicht das Geringste mit irgendeinem »emanzipatorischen Ansatz« zu tun.
Besagtes, zwischenzeitlich in der zweiten Auflage erschienene Handbuch hat allerorten Resonanz gefunden. Das aus dem Münsteraner Antisexismus entwickelte Definitionsmachtkonzept fand erklärtermaßen Eingang die Infobroschüre des No-Border-Camps von Köln im Jahre 2012. Dort fungierte es als eine ganz vorzügliche Handreichung im Sinne eines scharfen Schwertes für das von der Gruppe »reclaim society« verfolgte Konzept, alle, die ihrem »Antirassismus« zu widersprechen oder sonst wie unzuverlässig erschienen, kurzerhand als »Rassisten« zu denunzieren, um sie dann vom Camp zu schmeißen.
Auch in einem jüngst unter dem Titel »Organisation & Praxis« publizierten Buch der »AG (Post)Autonome Handlungsweisen«, der laut Verlagswerbung unter der Rubrik »Anarchie/Autonomie« als ein »Ratgeber für alte und neue politische Gruppen zur Organisation von Widerstand« dienen soll, finden die Überlegungen des Münsteraner Antisexismus explizit in einem Kapitel unter dem tückischen Stichwort »awareness« Eingang.
Darunter lässt sich landläufig »Bewusstsein« oder »Aufmerksamkeit« verstehen, die, folgt man hier den (post)autonomen Handlungsweisen im Zusammenhang mit einer sogenannten »aktiven Haltung«, dafür sorgen soll, »sexistische, rassistische, antisemitische, homo- oder transphobe und vergleichbare Übergriffe« nicht zu tolerieren. Und so wird dann jene »aktive Haltung« in dem besagten Kapitel mit im deutschen Sprachschatz populären Begriffen wie Ausschluss, Hausrecht, Hausverbot sowie einem »weiteren Umgang mit TäterInnen« beschrieben – eben alles das, was von »reclaim society« auf dem No-Border-Camp 2012 wirksam hat in Anschlag gebracht werden können.
Dass dabei die Verfasserinnen für sich in Anspruch nehmen – wie sie selbst schreiben –, keineswegs als »Gedanken- oder Sittenpolizei« erscheinen zu wollen, die beansprucht »lauter Verbote« zu überwachen, muss natürlich aus Gründen der politischen Public Relation so kommuniziert werden. Aber unter expliziter Zuhilfenahme des Münsteraner Antisexismuskonzeptes verfolgen sie nichts anderes als einen theoretisch düster reflektierten umfassenden Repressionsansatz gegen die autonome Bewegung selbst. Hier geht es mitnichten mehr um eine »Organisation & Praxis« sondern schlicht um »Organisation & Konformität«. Wenn man das Recht in Anspruch nimmt, Vorstellungen, die einem aus guten Gründen nicht passen, energisch zu widersprechen, und daraus folgt, in der Öffentlichkeit als Straftäter markiert zu werden, dann hält man besser gleich sein Maul und ordnet sich in konformer Weise unter die aus dem Geist kriminalpolizeilich motivierter Prävention konfigurierten Ansagen der Organizer unter.
Die von den Autorinnen in den beiden hier diskutierten Büchern in Anspruch genommene »aktive Haltung« ist gruselig. Und sie steht für die Organisation eines schlechten Lebens. Wenn irgendjemand einmal die Zeit dafür finden sollte, der Frage nachzugehen, wodurch die mit der Praxis der autonomen Bewegung eigentlich verknüpfte Idee der Autonomie – die immer auch auf Widerspruch, Differenz wie Dissidenz reflektiert – zerstört worden ist, dem ist ihre sorgfältige Lektüre ans Herz zu legen.
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