»Diese Koalition wurde mir aufgezwungen«

Israels Premier Netanjahu beklagt desaströsen Zustand der Regierungsarbeit / Livni: »Haufen von Extremisten«

  • Oliver Eberhardt, Jerusalem
  • Lesedauer: 4 Min.
In Israel wird am 17. März vorzeitig ein neues Parlament gewählt; zuvor hatte Regierungschef Netanjahu zwei Minister gefeuert und damit eine Monate lange Koalitionskrise beendet.

Am Ende gab es nur noch Schuldzuweisungen: Nur mit Mühe und sehr vielen Machtworten schaffte es Parlamentssprecher Juli Edelstein am Mittwochmorgen, die Vorsitzenden der Fraktionen im Parlament davon abzuhalten, sich gegenseitig anzubrüllen. Obwohl es bei dem Treffen nur um ein Thema ging - die Festsetzung eines Wahltermins.

Dass es vorgezogene Wahlen geben wird, war zu diesem Zeitpunkt bereits klar. Viel zu oft, viel zu lange war nun schon gebrüllt worden. »Es gab keine einzige Kabinettssitzung in den vergangenen Monaten, die einigermaßen gesittet verlaufen ist«, sagt Zippi Livni, die Ministerpräsident Benjamin Netanjahus Likud-Block, aber auch die Siedlerpartei »Jüdisches Heim« als einen »Haufen von Extremisten« bezeichnet. »Dies«, will sie klargestellt wissen, »nur dies allein war der Grund, warum wir so lange in dieser Koalition geblieben sind. Nur so konnten wir verhindern, dass Israel zu einem extremistischen Staat umgebaut wird.«

Ihre Aussagen haben viel mit Wahlkampf zu tun: Ihre Partei, »HaTnuah«, muss befürchten, bei den nächsten Wahlen von der Bildfläche zu verschwinden. Doch nicht nur sie, sondern auch Minister von Netanjahus eigenem Likud-Block beklagen sich über »kriegsähnliche Zustände« im Kabinettszimmer. Jair Lapid von der zentristisch orientierten Zukunftspartei beschreibt die Dinge so: »Die Rechten haben etwas gefordert; Netanjahu hat es ihnen gegeben; ganz gleich ob es die Bodenoffensive im Gazastreifen oder aber jetzt das Nationalstaatsgesetz war.«

Im Team Netanjahu gibt man sich derweil alle Mühe, Lapid und Livni die Schuld am Zusammenbruch der Regierung zu geben: »Diese Koalition wurde mir aufgezwungen«, erklärt Netanjahu in diesen Tagen immer wieder; zuerst habe Lapid nach der Wahl im Januar 2013 ein informelles Bündnis mit »Jüdisches Heim« geschlossen, um die Aufnahme beider Parteien in die Koalition durchzusetzen; dann hätten er und Livni aus der Regierung heraus Opposition betrieben.

Zudem gab es zuletzt einen scharf ausgetragenen Streit um ein geplantes Gesetz, das nationale Rechte ausschließlich für die jüdische Volksgruppe, nicht aber für die Minderheiten im Lande festschreiben soll. Lapid und Livni sahen dadurch - wie die Opposition - Demokratie und den Gleichheitsgrundsatz gefährdet.

»Wir hatten in den Koalitionsverhandlungen festgelegt, dass wir mit den Palästinensern verhandeln«, sagt Livni: »Es ist der einzige Weg, der aber ständig von Netanjahu blockiert wurde, weil er die Rechten in der Regierung halten wollte.« Mit der am Mittwoch in Gang gebrachten Selbstauflösung der Knesset, und den daraus folgenden Wahlen liegt nun allerdings der Friedensprozess bis mindestens April auf Eis - »und das, während eine weitere Intifada droht«, klagte am Mittwoch ein Kommentator des Inforadios des Militärrundfunks. Und auch der Sicherheitsapparat mahnte bis zuletzt eine Einigung an: Die Lage im Gazastreifen sei wieder brenzliger geworden. Denn dort kommt der Wiederaufbau nicht in Gang, und die Hamas hat zudem am Sonntag die Einheitsregierung mit der Fatah für aufgelöst erklärt.

Doch nun wird Netanjahu bis zur Bildung einer neuer Regierung nach den Wahlen als Übergangspremier mit einem Rumpfkabinett ohne parlamentarische Mehrheit regieren. Darüber hinaus hat Israel noch keinen Haushalt für das Jahr 2015; was es für die Funktion des Staates bedeuten würde, wenn es nicht gelingt, einen Etat durchs Parlament zu bringen, ist unklar. Auch deshalb versuchen beide Seiten, Netanjahu und seine Kritiker, sich nun gegenseitig die Schuld für das Ende zu geben. Die Wähler sind der vielen Wahlen überdrüssig; beide Seiten befürchten, dass es am Wahltag vor allem darum gehen könnte, wer Schuld hat.

»Wir haben damals schon gesagt, dass wir bestimmte Dinge nicht mittragen«, antwortet Lapid, ein ehemaliger Journalist darauf. Seine Partei errang vor knapp zwei Jahren mit dem Versprechen, die Lebenshaltungskosten zu senken, auf Anhieb 19 der 120 Parlamentssitze. Als Finanzminister setzte er dann aber massive Einschnitte in den Sozialhaushalt durch.

Was Netanjahu nun ein weiteres Problem bereitet: Im Parlament sitzen auch zwei ultraorthodoxe Parteien, die bislang zuverlässige Partnerinnen des Likud waren. Doch weil es diese Einschnitte gab und weil sie nach den Wahlen von Netanjahu auf Druck von Lapid in die Opposition geschickt wurden, verweigern sie ihm nun die Zusage, nach der Wahl mit ihm eine Regierung zu bilden.

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