Klimaschadstoff R2G-Angst
Ein Teil Thüringens fürchtet sich fast panisch vor Rot-Rot-Grün und Ramelow
Ausgerechnet in einer Kirche ist es ein Glaubensbekenntnis, das die seit fast zwei Stunden schon angespannte Stimmung völlig zum Kippen bringt. Er sei, sagt Bodo Ramelow, ein evangelischer Christ. Aber obwohl das bestimmt keine Überraschung ist, kann der Ministerpräsidentenkandidat von Rot-Rot-Grün den Gedanken, den er mit dieser Feststellung einleiten will, nicht beenden. Es wird ungläubig gelacht und verbittert gemurmelt in der Jacobs-Kirche in Weimar. Da wird es Ramelow zu viel.
Wenn es um seinen Glauben geht, nimmt er das sehr persönlich. Für einen langen Moment an diesem Mittwochnachmittag sieht es so aus, als wolle er aufspringen und aus dem Gotteshaus rennen. Die Angst vor Rot-Rot-Grün, die vor allem eine Angst vor der LINKEN und Ramelow ist, lässt sich in diesen Momenten mit den Händen greifen. Sie ist ihm auch an diesen geweihten Ort gefolgt.
So intensiv ist die Angst, dass sich nicht nur diese Podiumsdiskussion in der Kirche mit ihr beschäftigt. Sie ist so wirkmächtig, dass sogar Mike Mohring Ramelow beispringt, als Letzterer erzählt, Politiker der Sozialdemokraten, Grünen und vor allem der LINKEN würden seit Wochen massiv bedroht und beschimpft. Sogar die Radmuttern an den Autos einiger LINKER seien gelockert worden.
Mohring, dem als CDU-Fraktionsvorsitzendem im Landtag ganz sicher keine politische Nähe zur LINKEN nachzusagen ist, vergisst zwar nicht darauf hinzuweisen, auch die Gegner von Rot-Rot-Grün würden seit Langem schon diffamiert und bedroht. Aber dann stellt er sich an die Seite seines Mitabgeordneten. »Das ist alles gleichermaßen verurteilungswürdig«, sagt Mohring.
Woher diese Angst vor Rot-Rot-Grün kommt, die das politische Klima im Freistaat längst vergiftet hat, ist nicht leicht zu erklären. Im Gegenteil. Sie ist so diffus, vielschichtig und bei vielen Menschen im Freistaat, ja in ganz Deutschland so tief verwurzelt, dass sich einfache Erklärungsansätze verbieten. Ebenso wie die Frage, warum es zu so viel Verbitterung führt, dass Ramelow, vor einem Altar sitzend, davon spricht, er sei Christ. Passt für viele Menschen Linkssein und Gläubigsein nicht zusammen? So wie es für viele nicht zusammengeht, dass ein Politiker der Linkspartei 25 Jahre nach dem Mauerfall ein hohes Regierungsamt übernimmt? Haben diese Menschen den Eindruck, Ramelow versuche mit diesem Hinweis kritischen Fragen auszuweichen? So wie er aus der Sicht vieler immer ausweicht, indem er viel redet, angeblich ohne etwas zu sagen, wenn er sich zur SED-Vergangenheit der LINKEN äußert? Trauen ihm viele Menschen ohnehin und ganz grundsätzlich nicht über den Weg? So wie sie vielen LINKEN ohnehin und ganz grundsätzlich nicht über den Weg trauen?
Wahrscheinlich wird das Lachen und Murmeln von einer Mischung aus all dem angetrieben. Ebenso wie die Angst. Sicher jedenfalls ist diese Angst nicht einfach das Ergebnis einer gesteuerten, politischen Kampagne. Auch wenn die Gegner des experimentellen Dreierbündnisses diese Angst freilich ebenso nutzen wie ihre Aktivitäten eine Folge dieser Angst sind. Dass die Organisatoren einer Demonstration gegen Rot-Rot-Grün damit rechnen, am Donnerstagabend bis zu 10 000 Menschen vor dem Landtag in Erfurt versammeln zu können, ist ein Spiegelbild dafür, wie in Thüringen derzeit eine Angst, die schon da ist, politisch instrumentalisiert und damit noch stärker wird - was wiederum ihre weitere Instrumentalisierung erleichtert.
Sichtbar wird in Weimar, dass diese Angst vor allem vom Blick zurück bestimmt wird, der für jeden Einzelnen ein individueller ist. Ein viel gebrauchtes Wort an diesem Nachmittag ist deshalb »Verantwortung«. Mohring spricht davon. Zuhörer sprechen davon. Ramelow spricht davon. Gemeint ist damit immer die Verantwortung von LINKEN für das Unrecht des SED-Staates. Dieses Wort führt immer zur Auseinandersetzung mit der Angst davor, dass Menschen, die damals Verantwortung trugen, nun wieder in hohe Positionen des Staates kommen könnten. Und dabei geht es nicht nur um die Verantwortung von ehemals inoffiziellen Zuträgern der DDR-Sicherheitsbehörden wie Ina Leukefeld oder Frank Kuschel, die beide für die LINKE im Landtag sitzen.
Mohring wie auch Menschen auf den Kirchenbänken sagen, mehrere Parlamentarier der Linksfraktion im Freistaat würden bei ihren Selbstbeschreibungen noch immer verschweigen, welche Positionen sie innerhalb der SED oder der Staatsorgane der DDR innegehabt hätten. Längst nicht jeder stehe dazu, Mitarbeiter einer SED-Verwaltung, Grenzoffizier oder Kader der FDJ gewesen zu sein.
Ein mittelalter Mann auf der Empore klatscht jedes Mal mit voller Kraft, wenn jemand Ramelow so einen Vorhalt macht. Der weist diese Unterstellungen zwar zurück. So wie er sie schon Hunderte Male zurückgewiesen hat. Seine Partei bekenne sich seit 24 Jahren zu ihrer Verantwortung, nur hätten das bisher die wenigsten wahrgenommen, sagt Ramelow. Aber der Vorhalt kommt immer wieder. Wenn Ramelow sagt, seine Partei habe bei dieser und jener Gelegenheit in dieser und jener Art und Weise zu ihrer Verantwortung für begangenes Unrecht gestanden, steht jemand auf und sagt, er sei bei dieser und jener Gelegenheit auch dabei gewesen und habe das ganz anders wahrgenommen. Der Blick zurück ist für die Gegner von Rot-Rot-Grün ein ganz anderer als für die Befürworter des Bündnisses. Obwohl sie auf dieselbe Geschichte blicken, ist es nicht ihre gemeinsame Geschichte.
Diese Angst wird Ramelow begleiten. Und sie wird das politische Klima in Thüringen auch weiterhin vergiften. Ein Klima, das auch dadurch eingetrübt ist, dass zum Beispiel in der Landes-CDU durch den wahrscheinlichen Regierungswechsel heftige Machtkämpfe ausgebrochen sind.
Und weil Ramelow das weiß, bleibt er in Weimar sitzen. Trotz der Angriffe auf sein Innerstes. Sollte er am Freitag Ministerpräsident werden, wird er sich der Angst noch entschiedener stellen müssen als bisher.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.