Lärmschutz abgeknickt
Wer durch die neuen Flugrouten plötzlich verschont wird, erhält keine Besserstellung
Gerrit S. ist Miteigentümer eines Grundstücks in Blankenfelde. Für den Anwohner des künftigen Hauptstadtflughafens BER in Schönefeld sah es jahrelang so aus, als würden jene Maschinen, die von der südlichen Startbahn in Richtung Westen abheben, geradewegs über seinen Kopf hinwegfliegen. Die neuen Flugrouten knicken jedoch ab, wodurch Gerrit S. nicht mehr ganz so viel Fluglärm abbekommt. Trotzdem möchte Gerrit S. beim Fluglärm von der Flughafengesellschaft FBB so behandelt werden, als hätte sich nichts geändert. Am Montag wurde der Fall vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg verhandelt.
Bekäme Gerrit S. Recht, hätte dies erhebliche Auswirkungen. Der für den Schallschutz zuständige FBB-Abteilungsleiter Ralf Wagner wollte sich zwar nicht zitieren lassen. Fest steht aber, dass tausende Anwohner in einer ähnlichen Lage sind wie Gerrit S., und dass die Flughafengesellschaft mit Mehrausgaben in Millionenhöhe rechnen müsste, falls das Gericht im Sinne von Gerrit S. urteilt. Außerdem müsste erneut ein erheblicher bürokratischer Aufwand getrieben werden, um zu ermitteln, welche Schallschutzmaßnahmen für die einzelnen Gebäude notwendig sind.
Das Oberverwaltungsgericht hatte vorsorglich zwei Verhandlungstermine am Montag und Dienstag reserviert. Das schloss nicht aus, dass bereits am Montag eine Entscheidung fällt. Bei Redaktionsschluss war dergleichen allerdings nicht bekannt. Es deutete sich allerdings im Verlauf der mündlichen Verhandlung bereits am Montagvormittag an, dass der Grundstückseigentümer in dem Verfahren wahrscheinlich unterliegen wird.
Den Flughafenanwohnern ist zugesichert, dass der Krach in den Räumen ihrer Häuser tagsüber niemals den Grenzwert von 55 Dezibel übersteigen darf. Notfalls sind Schallschutzfenster einzubauen, und auch Lüftungsanlagen, damit die Fenster für die Frischluftzufuhr nicht angeklappt werden müssen. Bezahlen muss das die Flughafengesellschaft. In speziell festgelegten Schutzgebieten wird der Fluglärm der Einfachheit halber nicht extra gemessen, sondern abstrakt berechnet. Dabei spielt eine Rolle, welche Flugzeuge starten und landen und wo sie entlangfliegen. Überqueren die Maschinen ein Grundstück, wird es natürlich lauter, als wenn sie die Gegend in einiger Entfernung passieren.
Gerrit S. möchte einen Lärmschutz finanziert haben, als wenn er unmittelbar unter einer Flugroute zu leiden hätte, obwohl dies nach den aktuellen Absichten nicht mehr der Fall ist. Er hätte es im Erfolgsfall demnach in seinem Domizil leiser als die Nachbarn, die direkt unter einer Flugroute wohnen.
»Es wäre eine Übersicherung«, stellte Gerichtspräsident Jochen Buchheister am Montag klar. Der Rechtsanwalt von Gerrit S. bestätigte dies, verlangte jedoch Bestands- und Vertrauensschutz für seinen Mandanten, der nicht damit rechnen konnte, dass die Flugrouten plötzlich anders gelegt werden als jahrelang angenommen. »Das Beste gilt dann halt«, meinte der Anwalt. Mit dieser Sichtweise sind die Flughafengesellschaft und die Luftfahrtbehörde aber ganz und gar nicht einverstanden. Ihre Rechtsanwälte argumentierten, der Schallschutz müsse nach dem tatsächlichen Fluglärm dimensioniert werden und nicht nach irgendeinem »fiktiven Lärm«. Deswegen könne den Bewohnern der Schutzgebiete, die nun doch nicht unter Flugrouten liegen, die geforderte Sonderbehandlung nicht gewährt werden.
Einen Vorteil haben diese Leute aber doch. Sie müssen - anders als Flughafenanwohner außerhalb der Schutzgebiete - ihren Anspruch auf Schallschutz nicht erst nachweisen. »Sie müssen nur den Finger heben«, wie sich Gerichtspräsident Buchheister durch eine Nachfrage von der Luftfahrtbehörde und der Flughafengesellschaft bestätigen ließ. Alle anderen müssen den Fluglärm messen lassen - mit dem Risiko, dass der Grenzwert nicht überschritten wird und sie die Kosten für die Messung dann selbst zu bezahlen haben.
In die Entscheidung spielte mit hinein, ob das Oberverwaltungsgericht für diese Streitsache überhaupt zuständig ist? Müsste Gerrit S. nicht zivilrechtlich gegen die Flughafengesellschaft vorgehen, sich demnach an ein Amtsgericht wenden? Oder müsste er, falls ein Amtsgericht die falsche Adresse ist, nicht zunächst vor ein Verwaltungsgericht ziehen? Er verklagte stattdessen die Luftfahrtbehörde. Diese soll die Flughafengesellschaft anweisen, seinen Wünschen zu entsprechen. Und er wandte sich gleich an das OVG, dass in allen grundsätzlichen Fragen des Flughafens die erste Instanz ist, um die Verfahren abzukürzen und die Eröffnung juristisch nicht zu lange hinauszuzögern.
»Es gibt kein Rechtsschutzinteresse, diesen Umweg zu wählen«, fand Klaus-Peter Dolde, Anwalt der Luftfahrtbehörde. FBB-Anwalt Volker Gronefeld ergänzte: »Die Klage ist unzulässig.«
Für den Gerichtspräsidenten Buchheister stellte sich die Frage, wo die Grenze für die Befassung seines Oberverwaltungsgerichts als erste Instanz zu ziehen sei. Dabei verwies er auf die Lärmschutzklage der Gemeinde Blankenfelde-Mahlow, die am Montag gleich mit verhandelt wurde. Bei dieser Klage ging es der Gemeinde im Interesse ihrer eigenen Wohnhausgrundstücke unter anderem darum, feststellen zu lassen, dass die Lüftungsanlagen nach der Norm DIN 1946-6 eingebaut werden müssen, selbst wenn nur ein einziger Lüfter pro Wohnung vorgesehen ist.
Wäre das OVG dann am Ende gezwungen, sogar einen vergleichsweise läppischen Streit um das Lüftungskabel über oder unter Putz als erste Instanz zu behandeln, wollte Richter Buchheister wissen. Dabei wäre dies doch sicherlich kein Hindernis für die Eröffnung des Großflughafens. Der Verweis auf eine grundsätzliche Bedeutung überzeugte den Richter nicht. Grundsätzliches Bedeutung habe vieles, auch das Kabel unter Putz. Es betreffe immer Tausende, wäre damit ein »Massenphänomen«.
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