Schweben im Ungefähren
Kurz vor dem CDU-Bundesparteitag versucht die Parteispitze, Konflikte zu entschärfen
Wenn sich die CDU am Dienstag und Mittwoch in den Kölner Messehallen zu ihrem Bundesparteitag trifft, dann wird Angela Merkel wahrscheinlich mit herausragendem, an alte DDR-Tage erinnerndem Ergebnis im Amt der Vorsitzenden bestätigt werden. Ein gutes halbes Jahr trennt das »Mädchen« (Helmut Kohl) noch vom lange geltenden Parteivorsitz-Rekord des legendären Konrad Adenauer: 15 Jahre und drei Monate wird sie dann CDU-Chefin sein. Nur Kohl war mit 25 Jahren länger im Amt.
Wolfgang Schäuble, eine der vielen lebenden Leichen auf Merkels Weg zur Kanzlerin, verglich die einstige FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda an der Akademie der Wissenschaften der DDR unlängst sogar mit Napoleon. Merkel sei schlicht erfolgreicher, wenn auch kühler als der französische Feldherr und Diktator. Ob der 18. Brumaire der Angela Merkel noch aussteht, ließ der Finanzminister offen.
Zwei Anträge wird der Vorstand den Delegierten vorlegen, einen zur sogenannten inneren Sicherheit, einen zur Wirtschaftspolitik. Deren endgültige Fassung segnete die Parteispitze am Montagabend nach Redaktionsschluss ab. Dass die deutliche Befürwortung der Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA aus dem Entwurf flog, war aber sehr unwahrscheinlich. Angst vor niedrigen Öko-, Demokratie- und Verbraucherschutzstandards dank TTIP und Co. hat der CDU-Vorstand nicht. Er zieht mit und will mehr Offenheit für umstrittene Technologien wie die Grüne Gentechnik und Fracking.
Zur inneren Sicherheit versprach sich CDU-Bundesvize und NRW-Landeschef Armin Laschet in seinem Bundesland eine klare Positionierung: Er forderte einen »Anti-Einbruch-Marathon« der Polizei - hoffentlich sind die »organisierten Banden« zum passenden Zeitpunkt und am richtigen Ort auf Beutezug. Der Aachener präferiert zudem Gesetzesänderungen und Ausreiseverbote für wiederkehrende sowie ausreisewillige Dschihadisten.
An einem Punkt sah es so aus, als sollte Merkel ihr oft kritisiertes, aber noch öfter gefeiertes Schweben im Ungefähren zum Nachteil gereichen: Bei der Debatte um die kalte Progression, jenem steuerrechtlichen Phänomen, bei dem Arbeitnehmer bei gestiegenem Bruttoeinkommen netto weniger Geld behalten dürfen. Die Koalitionspartner CSU und SPD wollen das Problem schnell beseitigen. Auch 19 Gliederungen der CDU stellen entsprechende Anträge. Arbeitnehmer- und Wirtschaftsflügel der Partei sind sich einig wider die von ihnen so genannte heimliche Steuererhöhung. Doch die bringt dem Staat laut Schätzungen nächstes Jahr 2,4 Milliarden Euro ein. Dann soll die Schwarze Null stehen. Die CDU hatte am Montagabend einen Kompromiss im Streit um den Abbau der kalten Progression gefunden. Danach soll noch in dieser - bis 2017 laufenden - Legislaturperiode mit einer Abmilderung begonnen werden, hieß es in Köln aus Vorstandskreisen.
Blickt man in die pünktlich vor dem Kongress vorgelegte aktuelle Ausgabe des Mitgliedermagazins »UNION«, so präsentiert sich dort eine weltoffene und technikaffine Partei. Das Blatt enthält auch ein »Twitter-Interview« mit dem neuen Vorsitzenden des Nachwuchsverbandes Junge Union, dem mit Kapuzenpulli pseudoleger gekleideten Paul Ziemiak. Dass moderne Form und reaktionärer Inhalt durchaus Hand in Hand gehen können, verdeutlicht der Iserlohner: Besonders gut, schreibt er, haben ihm die vielen Tweets des Bundespräsidenten zur Kritik »an einem möglichen Ministerpräsidenten aus den Reihen der SED-Erben« gefallen.
In dem Heftchen wird die »Digitale Agenda« der Bundesregierung beworben, die unter Fachpolitikern und in den digitalen Branchen umstritten ist. Gleichzeitig wird auch der Heino-Wohnort Bad Münstereifel bei Bonn bejubelt, weil er »mit großem Erfolg« 40 Outletläden gegen den Internethandel setze. Selbst Heino sei glücklich, erfahren Christdemokraten in ihrem Zentralorgan. Springers »Welt« fasst den Vorgang lapidarer zusammen: »Drei Investoren kaufen sich eine Stadt«, war vor einem Jahr in dem konservativen Blatt zu lesen.
Die Basis war fleißig: 90 Anträge stellte sie an den Parteitag. Mal will sie Frauenquoten abgeschafft, mal unter Berufung auf Frauenrechte und »öffentliche Ordnung« ein Burkaverbot etabliert sehen. Die Junge Union fordert, die sogenannte Störerhaftung auszusetzen, bei der der Betreiber eines funkbasierten Netzwerkes für Fehlhandlungen von dessen Nutzern geradesteht. Die Regierung müsse Haftungsrisiken für gewerbliche und nichtgewerbliche Betreiber von WLAN-Netzen abbauen. Dies sei gut für Wirtschaft und Demokratie, befindet der Parteinachwuchs. Die Antragskommission schließt sich dieser Forderung im Wesentlichen an.
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