»Für mich ist das Rassismus«
Luisa Seydel über rechte Montagsdemos in Marzahn und »besorgte« Bürger
nd: Am Montag wollen wieder rechte Flüchtlingsgegner in Marzahn demonstrieren. Wie haben sie die letzten Wochen erlebt?
Seydel: Es ist inzwischen die 7. »Montagsdemo« gegen die Flüchtlinge. Das nervt natürlich total. Nazis und Rassisten gehen auf die Straße, um gegen Flüchtlinge und das geplante Containerdorf zu mobilisieren. Ich habe selbst die Demos begleitet, es war einfach nur gruselig. Die Gruppe, mit der ich unterwegs war, wurde bedroht, und nicht nur verbal. Journalisten, die schon seit Jahren über rechtsextreme Aufmärsche berichten, mussten sich in Supermärkte flüchten. Es wird gegen alles und jeden gehetzt.
Nicht sehr erfreulich war auch das Verhalten der Polizei. Die ersten beiden Proteste, die »Hellersdorf Hilft« angemeldet hatte, wurden unsichtbar gemacht. Wir wurden mit Polizeiwagen komplett eingekesselt. Wir waren die Bösen. Auch bei den folgenden Demos ging die Polizei äußerst brutal und repressiv gegen uns vor. Dabei war das Gewaltpotenzial ganz klar auf der anderen Seite.
Sie sprechen von Nazis und Rassisten und nicht von besorgten Anwohnern. Warum?
Für mich sind das keine Sorgen oder Ängste, die da vorgetragen werden. Wenn man die angeblichen Sorgen und Ängste mal hinterfragt, offenbaren sich rassistische Ressentiments. Diese »besorgten Bürger« laufen mit Leuten von der NPD, von »Die Rechte«, von »NW Berlin«. Die wissen, was sie tun, wenn sie das siebte Mal in Folge mit denen zusammen demonstrieren und sich deren Reden anhören. Von wegen, sie hätten Angst um ihre Kinder. Das ist doch ein rassistisches Vorurteil, damit wird suggeriert, dass Flüchtlinge unsere Kinder bedrohen. Da möchte ich nicht von Sorgen und Ängsten sprechen. Das ist eine total gefährliche Entwicklung. Die schaffen sich ja auch einen eigenen Narrativ: Die Medien lügen, die Politik lügt. Eine eigene Welt, in der die Anhänger gefangen sind und keine anderen Informationen akzeptieren.
Woran liegt es, dass die Mobilisierung gegen Flüchtlinge in Marzahn-Hellersdorf so erfolgreich ist?
Warum das so krass ist in unserem Bezirk, dass fragen wir uns schon lange. Ich glaube, das hat zum einen mit der Sozialstruktur zu tun, die massiv einen Sozialneid und ein »Erst wir, dann die Anderen«-Denken begünstigt. Zum anderen ist Marzahn-Hellersdorf einfach ein sehr monokultureller Bezirk, wo die Menschen keine Erfahrungen mit anderen Kulturen oder Religionen haben. Das ist ein Nährboden für Vorurteile.
Für Montag ruft das Bündnis »Berlin Nazifrei« zu Blockaden auf. Was wird damit bezweckt?
Ziel ist es, die Kontinuität der letzten Wochen zu durchbrechen. Man zeigt einfach, euer Rassismus wird von den Menschen, die hier wohnen, nicht akzeptiert, und der wird auch von den Berlinern in der ganzen Stadt nicht akzeptiert. Wir halten zusammen und werden nicht zulassen, dass ihr euren Rassismus hier durch die Straße schreit. Wir bekommen eine große Unterstützung von Innenstadtgruppen. Es ist ein relativ breites Bündnis entstanden, in dem Politik und Zivilgesellschaft zusammenarbeitet. Wie die Situation vor Ort in Marzahn ist, kann es auch nur so funktionieren. Nur so erreicht man die Leute und kann den rechten Schreihälsen friedlichen und kreativen Protest entgegensetzen. Auch ziviler Ungehorsam muss erlaubt sein.
Wie kann eine langfristige Strategie über diesen Montag hinaus aussehen?
Man darf nicht nur reagieren, sondern muss auch eigene Aktionen starten. Der Blick nach Hellersdorf zeigt, dass die Zugkraft der rassistischen Mobilisierung mit der Zeit deutlich nachgelassen hat. Es zeigt sich im Internet, dass sich die Stimmung auch in Marzahn bereits differenziert. Man liest zunehmend Kommentare wie »das ist mir hier echt zu radikal. Ihr ruft hier zu Gewalt auf«. Vorurteile müssen abgebaut werden. Das kann beispielsweise funktionieren, wie sich in Hellersdorf gezeigt hat, durch Begegnungen, wenn die Geflüchteten dann da sind. Es muss Aufklärungsarbeit geleistet werden etwa in gemeinsamen Projekten. So kann langfristig das Stimmungsbild verändert werden. Es reicht nicht aus, gegen den Rassismus auf die Straße zu gehen, man muss das Denken in den Köpfen ändern.
Worauf müssen Protestwillige heute Abend konkret achten?
Treffpunkte zur gemeinsamen Anreise für Leute aus der Innenstadt sind um 17 Uhr am S-Bahnhof Ostkreuz und am Bahnhof Lichtenberg. Für Menschen, die länger arbeiten müssen, gibt es einen weiteren Treffpunkt um 18.30 Uhr am Ostkreuz. Menschen aus Marzahn und Hellersdorf können sich an der Ecke Landsberger Allee/Blumberger Damm treffen, dort wird ein weiterer Anlaufpunkt sein. Und nicht vergessen, sich schön warm anzuziehen und Ausdauer, Gute Laune und eine starke Stimme mitzubringen.
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