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Marcuse für Dummies

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.
Manches kommt nie aus der Mode. Die »Street Fighting Men« kann man auch heute noch gut hören. Aber auch unter Büchern gibt es Evergreens. »Der eindimensionale Mensch« ist so einer. Es hatte seine Wirkung auf die Studenten der Sechziger. Und könnte auch heutige Menschen inspirieren.

Ich suchte nach einem Zitat von Marcuse. Eines mit Freiheit, das ein »mächtiges Herrschaftsinstrument« sei oder so ähnlich. Also blätterte ich seit langem mal wieder im »eindimensionalen Menschen« herum. Dort glaubte ich es vor Jahren gelesen zu haben. Auf Anhieb fand ich es nicht. Was ich aber fand, das waren ganze Passagen, die wie aus der heutigen Zeit geschnitten schienen. Es war, als hätte ich die Zustandsbeschreibung der heutigen Bundesrepublik vor mir ausgebreitet. Geschrieben von einem, der schon vor langer Zeit starb.

Es ging darum, dass der »Kampf gegen die Befreiung« mit materieller Bedürfnisbefriedigung erstickt wird; dass die Medien die Menschen für »langjährig präparierte Empfänger« von Losungen und Parolen halten, die gar nicht mehr objektiv zwischen »dem Gegebenen und dem Möglichen« unterscheiden könnten, weil medial eine »Einebnung des Gegensatzes (oder Konflikts)« stattfinde. Alternativlosigkeit nennt man das heute. Das wiederum führe zur klassenlosen Gesellschaft, die natürlich nicht wirklich die Aufhebung der Klassen bedeute, sondern lediglich darauf hindeute, dass »die unterworfene Bevölkerung [nur soweit] an den Bedürfnissen und Befriedigungen teil hat, [dass sie zur] Erhaltung des Bestehenden« dient. Alles würde zur Warenwelt, in der sich die Menschen wiedererkennen würden und »unter diesem repressiven Ganzen, lässt Freiheit sich in ein mächtiges Herrschaftsinstrument verwandeln«. Da war es ja, das gesuchte Zitat. Bei diesem letzten Satz dachte ich an den Bundespräsidenten, dem Prediger einer Freiheit, die man nur als repressives Mittel verstehen kann.

Es gab noch so viel mehr einschlägige Passagen, die das ganze Dilemma unserer postdemokratischen Identität (oder besser: unserer demokratischen Identitätslosigkeit) auf den Punkt brachten und vorwegnahmen. Folgendes könnte zum Beispiel direkt nach der Betrachtung der amtierenden Ukraine-Berichterstattung der »Tagesthemen« niedergeschrieben worden sein: »Das eindimensionale Denken wird von den Technikern der Politik und ihren Lieferanten von Masseninformationen systematisch gefördert. Ihr sprachliches Universum ist voller Hypothesen, die sich selbst bestätigen und die, unaufhörlich und monopolistisch wiederholt, zu hypnotischen Definitionen oder Diktaten werden.« Geschrieben wurde es aber 1964. Drei Jahre später wurde es ins Deutsche übersetzt.

Die Schrift hatte damals eine unglaubliche Wirkung auf die 68er entfaltet. Wer was auf sich hielt, sprach damals Soziologisch. Marcuse war geradezu Pflichtlektüre. Was er aber in seinem berühmten Aufsatz beschrieb, war in jenen Jahren zumindest in Deutschland noch gar nicht so weit gereift. Noch war nicht alles erstarrt und alternativlos. Einige Jahre später bewies das politische System der Bundesrepublik, dass ein Regierungswechsel möglich war. Und nicht nur der, denn mit Brandt betrat ein Kanzler das Geschehen, der stark vom Kurs der Vorgängerregierungen abwich und Weltpolitik gestaltete, die den Frieden der nächsten Jahrzehnte sicherte. Marcuse hatte in seinem Text aber vor allem die amerikanische Gesellschaft vor Augen, die damals schon ganz ähnlich dem war, was wir heute auch hierzulande erleben.

Ja, heute erst ist »Der eindimensionale Mensch« so zutreffend auf die Bundesrepublik wie nie zuvor. Daher wäre es eigentlich notwendig, ihn nochmal ins Rennen zu schicken. Bücher können noch immer Wirkung entfalten. Man denke nur an Otto Normaleugeniker, der seinen Sarrazin gelesen haben wird, bevor er sich die Stiefel für Pegida schnürte. Oder an die Frauen, die nach »Shades of Grey« so ein klein wenig Sado-Maso geil finden. Wirkungsgeschichten gibt es durchaus immer noch. Man muss den guten Herbert vermutlich nur entstauben, ihn vereinfachen, sprachlich auf Vordermann bringen. Popularisieren. Marcuse für Dummies gewissermaßen. Und dann verteile man es an den Universitäten. Vielleicht würde es Einfluss haben und die affirmative Kraft des aktuell eindimensionalen Denkens wenigstens auf den Prüfstand stellen und den Mut zur Negation, zum Nein anfachen. Und das wäre in einem Wirtschaftssystem, in dem nur Jasager vorankommen, schon mal ein guter Anfang.

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