Das Messen mit zweierlei Maß
Wie universell sind die Menschenrechte? - Gespräch mit dem Politologen Karl Dicke
ND: Professor Dicke, ein Wissenschaftlerteam unter Ihrer Leitung befasste sich mit der Wirkungsgeschichte der UN-Menschenrechtsdeklaration von 1948. Zu welchem Fazit gelangte Ihr von der Volkswagen-Stiftung gefördertes Projekt?
Die Erklärung von 1948 ist eines der folgenreichsten Dokumente in der Geschichte der UNO. Der Menschenrechtskatalog der Erklärung ist der erste Schritt zum internationalen Menschenrechtsschutz, der dann mit den beiden Pakten der UNO von 1976 vertragsrechtliche Verpflichtungen nach sich zog. Die Erklärung ist zweitens ein Dokument, auf das sich die Staaten immer wieder bezogen haben, wenn sie den damals erreichten Konsens, Würde und Rechte des Menschen in den Mittelpunkt der Politik zu stellen, bekräftigen wollten. Und drittens war die Erklärung ein Meilenstein auf der Strecke weg vom alten, absoluten hin zu einem modernen, rechtsgebundenen Verständnis staatlicher Souveränität.
ND: Ist es nicht pervers, wenn die Menschenrechte zwar als weltpolitische Aufgabe begriffen, aber innerstaatlich mehr oder weniger ignoriert werden? Interventionen andernorts in deren Namen, aber im eigenen Haus Verstöße gegen diese. Sollten Staaten, die das Asylrecht und Recht auf Arbeit nicht zu realisieren bereit sind, sich im weltpolitischen Engagement eher zurückhalten?
Zunächst einmal ist der Katalog der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der erste internationale Maßstab überhaupt, an dem man die Einhaltung und Umsetzung bzw. auch die Verletzung von Menschenrechten konkret bemessen kann. Diesem kritischen Maßstab kann sich kein Staat entziehen. Doch muss man unterscheiden, ob Maßnahmen - wie im äußersten Fall auch eine Intervention - notwendig und völkerrechtlich gerechtfertigt sind, um grundlegende Bedingungen für die Respektierung von Menschenrechten überhaupt zu schaffen, oder aber, ob einzelne Verletzungen verschiedener Rechte anzugehen sind. Hier hat das Völkerrecht seit 1945 ein breites Spektrum verschiedenster Verfahren geschaffen. Politisch gilt aber: Das Messen mit zweierlei Maß untergräbt die Glaubwürdigkeit der Menschenrechtspolitik. Glaubwürdigkeit beginnt mit der selbstkritischen Beachtung menschenrechtlicher Maßstäbe.
ND: Die Menschenrechtsdeklaration selbst legitimiert explizit keine Interventionen zur Verteidigung der Würde und Rechte des Menschen, auch nicht den Sturz von Regierungsformen bzw. Regierungen, wie jüngst durch äußeren Druck in Jugoslawien und Afghanistan geschehen.
Jugoslawien und Afghanistan sind nach dem Friedensvölkerrecht insgesamt zu beurteilen. Im Blick auf die Menschenrechte sind dabei zwei Aspekte entscheidend: Erstens die Frage, ob die Staatengemeinschaft die Friedensbedrohung, die von den massiven Menschenrechtsverletzungen des Milosevic- bzw. Taleban-Regimes ausgingen, hinnehmen darf und was sie zu ihrer Beseitigung rechtlich tun kann. Zweitens die Frage, ob sich die Durchführung der Maßnahmen selbst an Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht hält. In beiden Aspekten wären die Staaten sehr gut beraten, die größtmögliche Rechtsklarheit und Kontrolle herbeizuführen und zu gewährleisten. Denn auch die allgemeine Erklärung hebt auf die Rechtlichkeit als Voraussetzung der Menschenrechtsgeltung ab.
ND: Inwieweit sind die Menschenrechte einklagbar angesichts der Tendenzen einer Privatisierung der Weltpolitik im Zuge wirtschaftlicher Globalisierung? Diese sind ja formuliert worden als Ansprüche des Individuums gegenüber dem Staat, der sich aber zunehmend aus fast allen gesellschaftlichen Bereichen zurückzieht. Gibt es Bedarf einer Neukodifizierung hinsichtlich des Adressaten?
Die Frage des Menschenrechtsschutzes gegenüber privaten Akteuren wird in einer sich zunehmend globalisierenden Welt in der Tat immer drängender. Hier reichen die bisherigen Instrumente wie etwa eine so genannte Drittwirkung von Menschen- bzw. Grundrechten sicher nicht aus. Überall da, wo private Akteure in ehemals hoheitliche Funktion einrücken und wo sich die in Menschenrechtskatalogen ausbuchstabierte Würde und Freiheit des Menschen Bedrohungen und Gefährdungen durch nicht-staatliche Macht ausgesetzt sieht, müssen auch neue Schutzinstrumente geschaffen werden. Hier liegt sicher eine Zukunftsaufgabe.
ND: Sie sehen in den Nicht-Regierungsorganisationen »unverzichtbare Stützen des Menschenrechtsgedankens«. Doch letztlich sind deren Beschlüsse nicht rechtsverbindlich. Was tun?
Die in der Tat unverzichtbare Tätigkeit von NGOs bleibt an die Existenz von Verfahren gebunden, die rechtswirksame Entscheidungen herbeiführen können. Insoweit bleiben die Menschenrechte auf funktionierende, demokratisch legitimierte staatliche bzw. zwischenstaatlich-hoheitliche Strukturen angewiesen. Die Leistung von NGOs liegt aber gerade darin, unabhängig auf Verletzungen und Bedrohungen von Menschenrechten aufmerksam zu machen, entsprechende Informationen in die Organe des Menschenrechtsschutzes hineinzutragen, auf Entscheidungen zu drängen, zu deren Legitimität und Akzeptanz beizutragen und ihre Durchführung zu überwachen. Keine systematische oder strukturelle Verletzung von Menschenrechten kann ohne diese Leistungen abgestellt oder beseitigt werden, wie gerade die Beispiele der Folter, oder der Unterdrückung der Frau zeigen.
ND: Es gibt Kritiker, die meinen, die Menschenrechtsdeklaration von 1948 sei als Ergebnis der Entwicklung westlichen Rechtsdenkens zu sehr auf die so genannte abendländische Kultur fixiert. Wie universell sind die Menschenrechte?
Wie die Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung zeigt, war man peinlichst auf interkulturelle Akzeptanz der Erklärung bedacht. Es stimmt, dass Menschenrechte historisch im atlantischen Kulturkreis entstanden sind, doch ist das noch kein Argument gegen ihre normative »Universalität«. Mir fällt auf, dass die meisten Bedenken gegen die Universalität der Menschenrechte entweder von »westlich« sozialisierten Intellektuellen oder von Regierungen geäußert werden, die diese als - gelinde gesagt - störend empfinden. Die Opfer von Menschenrechtsverletzungen dürfen sich weltweit über die Universalität der Menschenrechte einig sein, und ihre Perspektive ist zweifellos die wichtigste.
Fragen: Karlen Vesper
Karl Dicke, Jg. 1953, Politologe an der Universität Jena, ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen.ND: Professor Dicke, ein Wissenschaftlerteam unter Ihrer Leitung befasste sich mit der Wirkungsgeschichte der UN-Menschenrechtsdeklaration von 1948. Zu welchem Fazit gelangte Ihr von der Volkswagen-Stiftung gefördertes Projekt?
Die Erklärung von 1948 ist eines der folgenreichsten Dokumente in der Geschichte der UNO. Der Menschenrechtskatalog der Erklärung ist der erste Schritt zum internationalen Menschenrechtsschutz, der dann mit den beiden Pakten der UNO von 1976 vertragsrechtliche Verpflichtungen nach sich zog. Die Erklärung ist zweitens ein Dokument, auf das sich die Staaten immer wieder bezogen haben, wenn sie den damals erreichten Konsens, Würde und Rechte des Menschen in den Mittelpunkt der Politik zu stellen, bekräftigen wollten. Und drittens war die Erklärung ein Meilenstein auf der Strecke weg vom alten, absoluten hin zu einem modernen, rechtsgebundenen Verständnis staatlicher Souveränität.
ND: Ist es nicht pervers, wenn die Menschenrechte zwar als weltpolitische Aufgabe begriffen, aber innerstaatlich mehr oder weniger ignoriert werden? Interventionen andernorts in deren Namen, aber im eigenen Haus Verstöße gegen diese. Sollten Staaten, die das Asylrecht und Recht auf Arbeit nicht zu realisieren bereit sind, sich im weltpolitischen Engagement eher zurückhalten?
Zunächst einmal ist der Katalog der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der erste internationale Maßstab überhaupt, an dem man die Einhaltung und Umsetzung bzw. auch die Verletzung von Menschenrechten konkret bemessen kann. Diesem kritischen Maßstab kann sich kein Staat entziehen. Doch muss man unterscheiden, ob Maßnahmen - wie im äußersten Fall auch eine Intervention - notwendig und völkerrechtlich gerechtfertigt sind, um grundlegende Bedingungen für die Respektierung von Menschenrechten überhaupt zu schaffen, oder aber, ob einzelne Verletzungen verschiedener Rechte anzugehen sind. Hier hat das Völkerrecht seit 1945 ein breites Spektrum verschiedenster Verfahren geschaffen. Politisch gilt aber: Das Messen mit zweierlei Maß untergräbt die Glaubwürdigkeit der Menschenrechtspolitik. Glaubwürdigkeit beginnt mit der selbstkritischen Beachtung menschenrechtlicher Maßstäbe.
ND: Die Menschenrechtsdeklaration selbst legitimiert explizit keine Interventionen zur Verteidigung der Würde und Rechte des Menschen, auch nicht den Sturz von Regierungsformen bzw. Regierungen, wie jüngst durch äußeren Druck in Jugoslawien und Afghanistan geschehen.
Jugoslawien und Afghanistan sind nach dem Friedensvölkerrecht insgesamt zu beurteilen. Im Blick auf die Menschenrechte sind dabei zwei Aspekte entscheidend: Erstens die Frage, ob die Staatengemeinschaft die Friedensbedrohung, die von den massiven Menschenrechtsverletzungen des Milosevic- bzw. Taleban-Regimes ausgingen, hinnehmen darf und was sie zu ihrer Beseitigung rechtlich tun kann. Zweitens die Frage, ob sich die Durchführung der Maßnahmen selbst an Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht hält. In beiden Aspekten wären die Staaten sehr gut beraten, die größtmögliche Rechtsklarheit und Kontrolle herbeizuführen und zu gewährleisten. Denn auch die allgemeine Erklärung hebt auf die Rechtlichkeit als Voraussetzung der Menschenrechtsgeltung ab.
ND: Inwieweit sind die Menschenrechte einklagbar angesichts der Tendenzen einer Privatisierung der Weltpolitik im Zuge wirtschaftlicher Globalisierung? Diese sind ja formuliert worden als Ansprüche des Individuums gegenüber dem Staat, der sich aber zunehmend aus fast allen gesellschaftlichen Bereichen zurückzieht. Gibt es Bedarf einer Neukodifizierung hinsichtlich des Adressaten?
Die Frage des Menschenrechtsschutzes gegenüber privaten Akteuren wird in einer sich zunehmend globalisierenden Welt in der Tat immer drängender. Hier reichen die bisherigen Instrumente wie etwa eine so genannte Drittwirkung von Menschen- bzw. Grundrechten sicher nicht aus. Überall da, wo private Akteure in ehemals hoheitliche Funktion einrücken und wo sich die in Menschenrechtskatalogen ausbuchstabierte Würde und Freiheit des Menschen Bedrohungen und Gefährdungen durch nicht-staatliche Macht ausgesetzt sieht, müssen auch neue Schutzinstrumente geschaffen werden. Hier liegt sicher eine Zukunftsaufgabe.
ND: Sie sehen in den Nicht-Regierungsorganisationen »unverzichtbare Stützen des Menschenrechtsgedankens«. Doch letztlich sind deren Beschlüsse nicht rechtsverbindlich. Was tun?
Die in der Tat unverzichtbare Tätigkeit von NGOs bleibt an die Existenz von Verfahren gebunden, die rechtswirksame Entscheidungen herbeiführen können. Insoweit bleiben die Menschenrechte auf funktionierende, demokratisch legitimierte staatliche bzw. zwischenstaatlich-hoheitliche Strukturen angewiesen. Die Leistung von NGOs liegt aber gerade darin, unabhängig auf Verletzungen und Bedrohungen von Menschenrechten aufmerksam zu machen, entsprechende Informationen in die Organe des Menschenrechtsschutzes hineinzutragen, auf Entscheidungen zu drängen, zu deren Legitimität und Akzeptanz beizutragen und ihre Durchführung zu überwachen. Keine systematische oder strukturelle Verletzung von Menschenrechten kann ohne diese Leistungen abgestellt oder beseitigt werden, wie gerade die Beispiele der Folter, oder der Unterdrückung der Frau zeigen.
ND: Es gibt Kritiker, die meinen, die Menschenrechtsdeklaration von 1948 sei als Ergebnis der Entwicklung westlichen Rechtsdenkens zu sehr auf die so genannte abendländische Kultur fixiert. Wie universell sind die Menschenrechte?
Wie die Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung zeigt, war man peinlichst auf interkulturelle Akzeptanz der Erklärung bedacht. Es stimmt, dass Menschenrechte historisch im atlantischen Kulturkreis entstanden sind, doch ist das noch kein Argument gegen ihre normative »Universalität«. Mir fällt auf, dass die meisten Bedenken gegen die Universalität der Menschenrechte entweder von »westlich« sozialisierten Intellektuellen oder von Regierungen geäußert werden, die diese als - gelinde gesagt - störend empfinden. Die Opfer von Menschenrechtsverletzungen dürfen sich weltweit über die Universalität der Menschenrechte einig sein, und ihre Perspektive ist zweifellos die wichtigste.
Fragen: Karlen Vesper
Karl Dicke, Jg. 1953, Politologe an der Universität Jena, ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen.
Die Erklärung von 1948 ist eines der folgenreichsten Dokumente in der Geschichte der UNO. Der Menschenrechtskatalog der Erklärung ist der erste Schritt zum internationalen Menschenrechtsschutz, der dann mit den beiden Pakten der UNO von 1976 vertragsrechtliche Verpflichtungen nach sich zog. Die Erklärung ist zweitens ein Dokument, auf das sich die Staaten immer wieder bezogen haben, wenn sie den damals erreichten Konsens, Würde und Rechte des Menschen in den Mittelpunkt der Politik zu stellen, bekräftigen wollten. Und drittens war die Erklärung ein Meilenstein auf der Strecke weg vom alten, absoluten hin zu einem modernen, rechtsgebundenen Verständnis staatlicher Souveränität.
ND: Ist es nicht pervers, wenn die Menschenrechte zwar als weltpolitische Aufgabe begriffen, aber innerstaatlich mehr oder weniger ignoriert werden? Interventionen andernorts in deren Namen, aber im eigenen Haus Verstöße gegen diese. Sollten Staaten, die das Asylrecht und Recht auf Arbeit nicht zu realisieren bereit sind, sich im weltpolitischen Engagement eher zurückhalten?
Zunächst einmal ist der Katalog der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der erste internationale Maßstab überhaupt, an dem man die Einhaltung und Umsetzung bzw. auch die Verletzung von Menschenrechten konkret bemessen kann. Diesem kritischen Maßstab kann sich kein Staat entziehen. Doch muss man unterscheiden, ob Maßnahmen - wie im äußersten Fall auch eine Intervention - notwendig und völkerrechtlich gerechtfertigt sind, um grundlegende Bedingungen für die Respektierung von Menschenrechten überhaupt zu schaffen, oder aber, ob einzelne Verletzungen verschiedener Rechte anzugehen sind. Hier hat das Völkerrecht seit 1945 ein breites Spektrum verschiedenster Verfahren geschaffen. Politisch gilt aber: Das Messen mit zweierlei Maß untergräbt die Glaubwürdigkeit der Menschenrechtspolitik. Glaubwürdigkeit beginnt mit der selbstkritischen Beachtung menschenrechtlicher Maßstäbe.
ND: Die Menschenrechtsdeklaration selbst legitimiert explizit keine Interventionen zur Verteidigung der Würde und Rechte des Menschen, auch nicht den Sturz von Regierungsformen bzw. Regierungen, wie jüngst durch äußeren Druck in Jugoslawien und Afghanistan geschehen.
Jugoslawien und Afghanistan sind nach dem Friedensvölkerrecht insgesamt zu beurteilen. Im Blick auf die Menschenrechte sind dabei zwei Aspekte entscheidend: Erstens die Frage, ob die Staatengemeinschaft die Friedensbedrohung, die von den massiven Menschenrechtsverletzungen des Milosevic- bzw. Taleban-Regimes ausgingen, hinnehmen darf und was sie zu ihrer Beseitigung rechtlich tun kann. Zweitens die Frage, ob sich die Durchführung der Maßnahmen selbst an Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht hält. In beiden Aspekten wären die Staaten sehr gut beraten, die größtmögliche Rechtsklarheit und Kontrolle herbeizuführen und zu gewährleisten. Denn auch die allgemeine Erklärung hebt auf die Rechtlichkeit als Voraussetzung der Menschenrechtsgeltung ab.
ND: Inwieweit sind die Menschenrechte einklagbar angesichts der Tendenzen einer Privatisierung der Weltpolitik im Zuge wirtschaftlicher Globalisierung? Diese sind ja formuliert worden als Ansprüche des Individuums gegenüber dem Staat, der sich aber zunehmend aus fast allen gesellschaftlichen Bereichen zurückzieht. Gibt es Bedarf einer Neukodifizierung hinsichtlich des Adressaten?
Die Frage des Menschenrechtsschutzes gegenüber privaten Akteuren wird in einer sich zunehmend globalisierenden Welt in der Tat immer drängender. Hier reichen die bisherigen Instrumente wie etwa eine so genannte Drittwirkung von Menschen- bzw. Grundrechten sicher nicht aus. Überall da, wo private Akteure in ehemals hoheitliche Funktion einrücken und wo sich die in Menschenrechtskatalogen ausbuchstabierte Würde und Freiheit des Menschen Bedrohungen und Gefährdungen durch nicht-staatliche Macht ausgesetzt sieht, müssen auch neue Schutzinstrumente geschaffen werden. Hier liegt sicher eine Zukunftsaufgabe.
ND: Sie sehen in den Nicht-Regierungsorganisationen »unverzichtbare Stützen des Menschenrechtsgedankens«. Doch letztlich sind deren Beschlüsse nicht rechtsverbindlich. Was tun?
Die in der Tat unverzichtbare Tätigkeit von NGOs bleibt an die Existenz von Verfahren gebunden, die rechtswirksame Entscheidungen herbeiführen können. Insoweit bleiben die Menschenrechte auf funktionierende, demokratisch legitimierte staatliche bzw. zwischenstaatlich-hoheitliche Strukturen angewiesen. Die Leistung von NGOs liegt aber gerade darin, unabhängig auf Verletzungen und Bedrohungen von Menschenrechten aufmerksam zu machen, entsprechende Informationen in die Organe des Menschenrechtsschutzes hineinzutragen, auf Entscheidungen zu drängen, zu deren Legitimität und Akzeptanz beizutragen und ihre Durchführung zu überwachen. Keine systematische oder strukturelle Verletzung von Menschenrechten kann ohne diese Leistungen abgestellt oder beseitigt werden, wie gerade die Beispiele der Folter, oder der Unterdrückung der Frau zeigen.
ND: Es gibt Kritiker, die meinen, die Menschenrechtsdeklaration von 1948 sei als Ergebnis der Entwicklung westlichen Rechtsdenkens zu sehr auf die so genannte abendländische Kultur fixiert. Wie universell sind die Menschenrechte?
Wie die Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung zeigt, war man peinlichst auf interkulturelle Akzeptanz der Erklärung bedacht. Es stimmt, dass Menschenrechte historisch im atlantischen Kulturkreis entstanden sind, doch ist das noch kein Argument gegen ihre normative »Universalität«. Mir fällt auf, dass die meisten Bedenken gegen die Universalität der Menschenrechte entweder von »westlich« sozialisierten Intellektuellen oder von Regierungen geäußert werden, die diese als - gelinde gesagt - störend empfinden. Die Opfer von Menschenrechtsverletzungen dürfen sich weltweit über die Universalität der Menschenrechte einig sein, und ihre Perspektive ist zweifellos die wichtigste.
Fragen: Karlen Vesper
Karl Dicke, Jg. 1953, Politologe an der Universität Jena, ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen.ND: Professor Dicke, ein Wissenschaftlerteam unter Ihrer Leitung befasste sich mit der Wirkungsgeschichte der UN-Menschenrechtsdeklaration von 1948. Zu welchem Fazit gelangte Ihr von der Volkswagen-Stiftung gefördertes Projekt?
Die Erklärung von 1948 ist eines der folgenreichsten Dokumente in der Geschichte der UNO. Der Menschenrechtskatalog der Erklärung ist der erste Schritt zum internationalen Menschenrechtsschutz, der dann mit den beiden Pakten der UNO von 1976 vertragsrechtliche Verpflichtungen nach sich zog. Die Erklärung ist zweitens ein Dokument, auf das sich die Staaten immer wieder bezogen haben, wenn sie den damals erreichten Konsens, Würde und Rechte des Menschen in den Mittelpunkt der Politik zu stellen, bekräftigen wollten. Und drittens war die Erklärung ein Meilenstein auf der Strecke weg vom alten, absoluten hin zu einem modernen, rechtsgebundenen Verständnis staatlicher Souveränität.
ND: Ist es nicht pervers, wenn die Menschenrechte zwar als weltpolitische Aufgabe begriffen, aber innerstaatlich mehr oder weniger ignoriert werden? Interventionen andernorts in deren Namen, aber im eigenen Haus Verstöße gegen diese. Sollten Staaten, die das Asylrecht und Recht auf Arbeit nicht zu realisieren bereit sind, sich im weltpolitischen Engagement eher zurückhalten?
Zunächst einmal ist der Katalog der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der erste internationale Maßstab überhaupt, an dem man die Einhaltung und Umsetzung bzw. auch die Verletzung von Menschenrechten konkret bemessen kann. Diesem kritischen Maßstab kann sich kein Staat entziehen. Doch muss man unterscheiden, ob Maßnahmen - wie im äußersten Fall auch eine Intervention - notwendig und völkerrechtlich gerechtfertigt sind, um grundlegende Bedingungen für die Respektierung von Menschenrechten überhaupt zu schaffen, oder aber, ob einzelne Verletzungen verschiedener Rechte anzugehen sind. Hier hat das Völkerrecht seit 1945 ein breites Spektrum verschiedenster Verfahren geschaffen. Politisch gilt aber: Das Messen mit zweierlei Maß untergräbt die Glaubwürdigkeit der Menschenrechtspolitik. Glaubwürdigkeit beginnt mit der selbstkritischen Beachtung menschenrechtlicher Maßstäbe.
ND: Die Menschenrechtsdeklaration selbst legitimiert explizit keine Interventionen zur Verteidigung der Würde und Rechte des Menschen, auch nicht den Sturz von Regierungsformen bzw. Regierungen, wie jüngst durch äußeren Druck in Jugoslawien und Afghanistan geschehen.
Jugoslawien und Afghanistan sind nach dem Friedensvölkerrecht insgesamt zu beurteilen. Im Blick auf die Menschenrechte sind dabei zwei Aspekte entscheidend: Erstens die Frage, ob die Staatengemeinschaft die Friedensbedrohung, die von den massiven Menschenrechtsverletzungen des Milosevic- bzw. Taleban-Regimes ausgingen, hinnehmen darf und was sie zu ihrer Beseitigung rechtlich tun kann. Zweitens die Frage, ob sich die Durchführung der Maßnahmen selbst an Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht hält. In beiden Aspekten wären die Staaten sehr gut beraten, die größtmögliche Rechtsklarheit und Kontrolle herbeizuführen und zu gewährleisten. Denn auch die allgemeine Erklärung hebt auf die Rechtlichkeit als Voraussetzung der Menschenrechtsgeltung ab.
ND: Inwieweit sind die Menschenrechte einklagbar angesichts der Tendenzen einer Privatisierung der Weltpolitik im Zuge wirtschaftlicher Globalisierung? Diese sind ja formuliert worden als Ansprüche des Individuums gegenüber dem Staat, der sich aber zunehmend aus fast allen gesellschaftlichen Bereichen zurückzieht. Gibt es Bedarf einer Neukodifizierung hinsichtlich des Adressaten?
Die Frage des Menschenrechtsschutzes gegenüber privaten Akteuren wird in einer sich zunehmend globalisierenden Welt in der Tat immer drängender. Hier reichen die bisherigen Instrumente wie etwa eine so genannte Drittwirkung von Menschen- bzw. Grundrechten sicher nicht aus. Überall da, wo private Akteure in ehemals hoheitliche Funktion einrücken und wo sich die in Menschenrechtskatalogen ausbuchstabierte Würde und Freiheit des Menschen Bedrohungen und Gefährdungen durch nicht-staatliche Macht ausgesetzt sieht, müssen auch neue Schutzinstrumente geschaffen werden. Hier liegt sicher eine Zukunftsaufgabe.
ND: Sie sehen in den Nicht-Regierungsorganisationen »unverzichtbare Stützen des Menschenrechtsgedankens«. Doch letztlich sind deren Beschlüsse nicht rechtsverbindlich. Was tun?
Die in der Tat unverzichtbare Tätigkeit von NGOs bleibt an die Existenz von Verfahren gebunden, die rechtswirksame Entscheidungen herbeiführen können. Insoweit bleiben die Menschenrechte auf funktionierende, demokratisch legitimierte staatliche bzw. zwischenstaatlich-hoheitliche Strukturen angewiesen. Die Leistung von NGOs liegt aber gerade darin, unabhängig auf Verletzungen und Bedrohungen von Menschenrechten aufmerksam zu machen, entsprechende Informationen in die Organe des Menschenrechtsschutzes hineinzutragen, auf Entscheidungen zu drängen, zu deren Legitimität und Akzeptanz beizutragen und ihre Durchführung zu überwachen. Keine systematische oder strukturelle Verletzung von Menschenrechten kann ohne diese Leistungen abgestellt oder beseitigt werden, wie gerade die Beispiele der Folter, oder der Unterdrückung der Frau zeigen.
ND: Es gibt Kritiker, die meinen, die Menschenrechtsdeklaration von 1948 sei als Ergebnis der Entwicklung westlichen Rechtsdenkens zu sehr auf die so genannte abendländische Kultur fixiert. Wie universell sind die Menschenrechte?
Wie die Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung zeigt, war man peinlichst auf interkulturelle Akzeptanz der Erklärung bedacht. Es stimmt, dass Menschenrechte historisch im atlantischen Kulturkreis entstanden sind, doch ist das noch kein Argument gegen ihre normative »Universalität«. Mir fällt auf, dass die meisten Bedenken gegen die Universalität der Menschenrechte entweder von »westlich« sozialisierten Intellektuellen oder von Regierungen geäußert werden, die diese als - gelinde gesagt - störend empfinden. Die Opfer von Menschenrechtsverletzungen dürfen sich weltweit über die Universalität der Menschenrechte einig sein, und ihre Perspektive ist zweifellos die wichtigste.
Fragen: Karlen Vesper
Karl Dicke, Jg. 1953, Politologe an der Universität Jena, ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen.
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