»Abfertigung heute nicht möglich«
Eine Schule verschenkt Sprachkurse an Flüchtlinge - weil keiner sonst dafür zahlt
Der, die, das, geht ganz gut. Schwieriger sind vierzehn und vierzig. Die kann Sabrina einfach nicht auseinanderhalten. Sabrina ist 27 Jahre alt, und Deutsch lernt sie erst seit einer Woche. Zugegeben, ihr Mann, der den Kurs schon seit zwei Monaten besucht, hat ihr abends erzählt, was er am Vormittag gelernt hatte. Sie selbst konnte nicht mit, sie musste auf die Tochter aufpassen, den ganzen Tag im Flüchtlingsheim.
15 Asylbewerbern aus dem nahe gelegenen AWO-Heim hat das Institut für interkulturelle Kommunikation in Lichtenberg einen Wunsch erfüllt: Deutsch lernen. Eigentlich hätten die Schüler gar nicht hier sein dürfen. Asylbewerber ohne geklärten Aufenthaltsstatus, also mindestens in den ersten drei Monaten nach ihrer Antragstellung, haben kein Recht auf einen Sprachkurs. Den bezahlen erst danach das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) oder das Bundesamt für Migration, manchmal über einen Integrationskurs auch das Jobcenter. Jedenfalls in Berlin. In Bayern können Flüchtlinge von Anfang an Deutschkurse besuchen, erzählt Schulleiter Martin Hahn. »Da ist mehr Geld übrig.« Gerade zur Weihnachtszeit ist die Hauptstadt völlig überlastet: Wer in diesen Tagen beim Sozialamt vorspricht, bekommt die Adresse einer Notunterkunft und dort etwas zu essen, berichtet der Flüchtlingsrat. Taschengeld, BVG-Tickets, Krankenscheine, Kleidung - auf die grundlegendsten Dinge müssen viele bis nach den Feiertagen warten. »Abfertigung heute nicht möglich.«
Hahns Schüler sind schon vor Monaten in Berlin angekommen - aber auch sie müssen sich gedulden. Der Schulleiter hat sich dafür entschieden, zumindest einigen einen Sprachkurs umsonst anzubieten. Die Fortgeschrittenen besuchen die regulären A2- und B1-Kurse der Schule, für die anderen stellt sie Bücher und Raum, die Lehrerin arbeitet ehrenamtlich.
Mit sanfter Stimme verteilt Lilli Herschhorn die Rollen: Einer ihrer Schüler ist Kunde, der andere Verkäufer, jetzt sollen Tee und Nektarinen den Besitzer wechseln, in Herschhorns Muttersprache. »Entschuldigung, wo ist der Kaffee, bitte?«, fragt Sabrina gespielt kläglich und wirft Fadi einen Wollball zu. »Ich weiß nicht«, antwortet der feixend, bevor er das Knäuel weiter wirft, diesmal selbst Kunde auf der Suche nach Koffein. Es wird viel gelacht an diesem Morgen. Wie in einer ganz normalen Klasse.
Wären da nicht Sabrinas tiefliegende Augen und Nours Stimme, die so leise und ernst wirkt an diesem jungen, strahlenden Mann. Alle hier haben viel verloren, alle suchen ein Stück Normalität. Der Kurs hilft.
Ein Wunder ist es, dass die Schüler hier sind. Sie alle haben in diesem Jahr ihr Zuhause verlassen müssen. Donezk, Aleppo, Erbil - die Namen ihrer Heimatstädte hängen wie eine Drohung über ihren Köpfen. »Aleppo, ja, es ist sehr schön da«, sagt Nour in gebrochenem Deutsch. »Oder war.«
Jeder hat eine andere Geschichte zu erzählen - wie zu Hause alles zusammenbrach, wie lang und leidvoll die Flucht nach Deutschland war. »Ich gehe nicht wieder zurück. In Irak wartet nur der Tod«, sagt Sabrina aus Erbil. Vier Jahre konnte sie kaum das Haus verlassen, zuletzt wurde die Situation für die gläubige Christin immer schlimmer, wurde ihr und ihrer Familie Mord angedroht. Sabrina hat einen Bachelor in Physik, in Deutschland würde sie gern einen Master anhängen. Der Sprachkurs gibt ihr das Gefühl, diesem Ziel ein Stück näher zu kommen, ihre Zeit sinnvoll zu nutzen. Ihre kleine Tochter geht jetzt in den Kindergarten, der Pfarrer ihrer katholischen Gemeinde in Lichtenberg hat den Platz besorgt.
»Unser Unterricht hat gleich mehrere Effekte«, erklärt Schulleiter Martin Hahn. »Neben dem Erlernen der Sprache ist es wichtig, dass die Menschen nicht nur im Heim sitzen. Dass sie andere Menschen treffen, ins Gespräch kommen.« Gern möchte Hahn weitere Projekte starten, er freut sich immer über neue ehrenamtliche Lehrer. »Manche Kinder über drei Jahren haben keine Schul- oder Kitaplätze bekommen«, erzählt er. Für die soll bald ein Kurs entstehen: Kinderbetreuung mit Spielen und Ausflügen, gleichzeitig mit kindgerechtem Sprachunterricht. Das hilft auch den Eltern, die sich in der Zeit weiterbilden können.
»Die Deutschen müssen wissen: Wir sind ganz normale Leute«, sagt Nour. »Wir wollen nicht, dass man sich um uns kümmert, wir wollen selbst eine Zukunft aufbauen.« Alle hier sind gebildet, wollen arbeiten, haben in der Heimat Karrieren aufgegeben und vor dem Krieg in Verhältnissen gelebt, die denen in Deutschland nicht unähnlich sind. Mit Terrorismus können sie nichts anfangen. Vielleicht machen Nour, Sabrina und Fadi deshalb die Pegida-Aufmärsche in Dresden und anderswo keine Angst - sie fühlen sich nicht gemeint. Oder die andere Angst ist einfach größer, die, die alle hier gemeinsam haben: Was passiert, wenn das Asylgesuch abgelehnt wird?
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