Koalition streitet über Sanktionen gegen Russland

Unionspolitiker für Beibehaltung des »harten Kurses« der Kanzlerin / SPD-Politiker: Strafmaßnahmen »dürfen kein Selbstzweck sein« - Rücknahme unter Bedingungen möglich

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Berlin. Im Lager der Regierungsparteien wächst die Uneinigkeit über die Fortsetzung der umstrittenen Sanktionen gegen Russland. »Ich halte nichts davon, jetzt eine Debatte über die Russland-Sanktionen zu beginnen, wie manche in der SPD das tun«, sagte Unionsfraktionsvize Michael Fuchs der »Rheinischen Post«. Die Strafmaßnahmen seien »ja gerade dazu da, dass sie in Russland genau die negativen wirtschaftlichen Wirkungen entfalten, die wir jetzt sehen«. Er sei »absolut für den harten Kurs, den die Kanzlerin gegenüber Russland fährt«, betonte Fuchs.

Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sprach sich für die Fortsetzung der EU-Sanktionen gegen Russland aus. »Ich hoffe jeden Tag, dass Russland zur Kooperation mit dem Westen zurück findet. Solange halten wir aber an den Sanktionen gegen Russland fest«, sagte er der Zeitung. Es liege an Moskau, eine Staatspleite zu verhindern. Europa wolle keine Auseinandersetzung mit militärischen Mitteln führen. »Aber das heißt nicht, dass wir akzeptieren, dass Russland mit militärischen Mitteln seine Interessen durchsetzt«, so der CDU-Politiker.

Dagegen sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Niels Annen, »die Sanktionen gegen Russland dürfen kein Selbstzweck sein. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen in der Ukraine und den wirtschaftlichen Verschlechterungen in Russland müssen wir die Sanktionen immer wieder neu bewerten.« Schon zuvor hatte der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich für ein schrittweises Zurückfahren der Sanktionen gegen Russland plädiert, falls in der Ostukraine die Waffen schweigen und weitere Bedingungen erfüllt werden. Die Sanktionen seien kein Selbstzweck, sagte er der »Berliner Zeitung«. Sollten »in den kommenden Wochen die Waffenruhe in der Ostukraine, eine nachprüfbare Umsetzung der Minsker Vereinbarung und eine sicherheitspolitisch verlässliche Atmosphäre hergestellt werden können, müssen auch die Sanktionen nach und nach überprüft und zurückgenommen werden«, so Mützenich.

Kritik an den Sanktionen kam auch von Vertretern der Wirtschaftslobby. »Sanktionen werden weder die russische Wirtschaft noch die russische Politik in die Knie zwingen und auch mittelfristig nicht zum erhofften Ziel führen«, sagte der Chef des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Eckhard Cordes. »Wir begrüßen daher die jüngsten Stellungnahmen, die angesichts der Wirtschaftskrise in Russland vor einer Verschärfung der Sanktionen warnen und zur Mäßigung aufrufen«, so Cordes. Die Wirtschaft werde aber die beschlossenen Sanktionen uneingeschränkt umsetzen.

Auch der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr und NATO-Militärausschussvorsitzende Harald Kujat warnte vor einer weiteren wirtschaftlichen Destabilisierung Russlands. Der »Neuen Osnabrücker Zeitung« sagte der Ex-General, ein solcher Kurs berge Gefahren bis hin zur bewaffneten Auseinandersetzung. »Ein wirtschaftlich stabiles, politisch berechenbares Russland ist die Voraussetzung für eine gemeinsame Lösung und die Abwendung einer weiteren Eskalation bis hin zum möglichen Einsatz militärischer Mittel«, so Kujat. Ein Konflikt sei nur lösbar, »wenn der Gegner rational handlungsfähig ist«. Eine Großmacht wie Russland bestrafen zu wollen, führe daher in die Irre. Parallel sei ein Zusammenbruch der russischen Wirtschaft schon deshalb kein Grund zur Genugtuung, weil er erhebliche Auswirkungen auf die Weltwirtschaft hätte.

Zu Wochenbeginn hatte bereits der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) vor den Folgen der Wirtschaftsprobleme in Russland gewarnt. »Die Krise der russischen Wirtschaft hinterlässt immer tiefere Bremsspuren im Russland-Geschäft deutscher Unternehmen«, sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. Nach einer Umfrage der deutschen Auslandshandelskammer in Russland unter knapp 300 Firmen müsse fast jeder dritte deutsche Betrieb dort Mitarbeiter entlassen, sollte sich die Lage nicht bessern. »36 Prozent gehen davon aus, Projekte stornieren zu müssen«, so Treier. Zehn Prozent der deutschen Unternehmen hätten berichtet, dass sich ihr langjähriger russischer Geschäftspartner gen Asien orientiere. »Immerhin jedes achte Unternehmen erwägt einen Rückzug aus Russland. Der Bruch so mancher Geschäftsbeziehung steht also bevor.« Eine Ursache der Probleme ist neben den Sanktionen des Westens wegen Moskaus Ukraine-Politik der anhaltend schwache Rubel. nd/Agenturen

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