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Ein »Tatort« auf der Edathy-Linie: Matthias Dell über Kinderbilderprostitution im Internet und die Münchner Folge »Das verkaufte Lächeln«, die sich mit Atmosphäre begnügt - und dabei ziemlich faul ist

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 3 Min.

Zu den Standardsituationen im »Tatort« gehört die Auftaktleiche, die Ermittlung erst in Bewegung setzt. Bei Normierungsversuchen in den neunziger Jahren, in denen das Selbstbewusstsein der öffentlich-rechtlichen Sender verloren ging über dem Erfolg des Privatfernsehens, soll in internen Papieren eine frühe Minutenangabe fixiert worden sein, bis zu der ein handlungstreibender Mord sichtbar geworden sein muss.

Dass es eine solche Vorgabe gar nicht braucht, wenn knapp 40 Folgen im Jahr mehr Selbstähnlichkeit produzieren als zwölf, ist unmittelbar verständlich. Natürlich könnte sich ein »Tatort« immer noch den Luxus leisten, vom Verbrechen mehr zu zeigen als das Opfer, wie es im allerklassischsten »Finke County« der siebziger Jahre der Fall war (Der Tatort: »Reifezeugnis« und so weiter), wo Spannung daraus resultierte, dass die Zuschauerin von den Lügen der Verdächtigen wusste. Aber das wäre heute die Ausnahme von der Regel wie der Tukur-»Tatort« mit dem Gewumms von neulich: einmal im Jahr, wenn überhaupt.

Insofern ist die Auftaktleiche also lästige Pflicht. Wie man das routiniert-elegant löst, zeigt die Münchner Folge »Das verkaufte Lächeln« (BR-Redaktion: Stephanie Heckner). Da wird die thematische Kinderbilderprostitution, bei der es ums Aufhübschen und Freudigsein geht, durch eine Parallelmontage (Schnitt: Vera van Appeldorn) quittiert von den nüchtern-disparaten Handlungen am Auffindeplatz der Leiche. Dialog ist kaum, »14« sagt der Ivo (Miro Nemec) und meint das Alter, und dann geht’s los. Das kann man ökonomisch nennen.

Etwas verwirrend ist vielleicht nur, dass die Webcam-Einstellungen lediglich das Mädchen Hannah (Anna-Lena Klenke) zeigen, wo doch alle aus deren Dreiergang sich gegen Geschenke für Blicke älterer Männer herzeigen, und weil doch nicht sie das Opfer vom Verbrechen wird, sondern der Blumenhändlersohn Tim (Justus Schlingensiepen).

Ein guter Moment um festzustellen, dass das Fernsehen, wenn es aufklärerisch tut und sich problematischen Zusammenhängen wie der Nacktbildkommunikation in konkurrierenden Medien widmet (Internet), nicht frei ist von eigenen Interessen an Schauwerten - das Schulmädchen mit kurzem Rock erfüllt (um nicht zu sagen: befriedigt) als das kanonischere Bild von sexualisierter Ausbeutung besser die Erwartungen des Fernsehpublikums als der nackte Junge.

Der ist als Bild irgendwie anstößiger, vermutlich, wie der Franz (Udo Wachtveitl) etwas leichtfertig sagt, »weil’s halt auch noch was Schwules ist«. Das wirft nämlich die Frage auf, ob es in einem »Tatort« so sinnvoll ist, in dem sensiblen Bereich zu differenzieren; ob Ehefrauen, die entdecken, dass der Gatte am Rechner Kinder fürs Sich-ausziehen beschenkt, weniger befremdet sind, wenn es sich um Mädchen handelt und nicht um Jungs. Von den Kindern zu schweigen.

Über dieses heikle Moment macht sich die Folge »Das verkaufte Lächeln« keine Gedanken. Der »Tatort« (Buch: Holger Joos, Regie: Andreas Senn) erzählt seine Geschichte entlang der Edathy-Linie, wo es nur ums Angucken, aber nicht ums Anfassen geht, was auch damit zu tun hat, dass man bei Kindergefährdung immer mit viel Mitleid beim Publikum rechnen kann, dem zugleich aber nicht die Weihnachtstage verderben will mit krasseren Schilderungen.

Der Film begnügt sich mit Atmosphäre (Musik: Johannes Kobilke) und ist dabei ziemlich faul. »Das verkaufte Lächeln« will mit Stoff für 45, maximal 60 Minuten über die Zeit kommen, statt dahin zu gehen, wo noch Geschichten steckten: Die Frau (Katharina Spiering) vom Fußballtrainer und Jungsbilderklicker Guido Buchwald (Maxim Mehmet) könnte mehr Drama machen über des Gatten Surfverhalten. Die Polizeiarbeit ließe sich intensiver darstellen, zumal hier schon einem der beiden Kommissare (dem Franz) auffällt, dass Ermittlung doch nicht ist, mit Verdächtigen andere Verdächtige zu diskutieren. Und nicht zuletzt müsste eine solch brisante Entscheidung wie die von Florian (Nino Böhlau), mit der Tankstellengaspistole ein Treffen Tims mit Gudio Buchwald zu verhindern, doch ausführlicher erklärt werden und kontextualisiert sein. So schnell schießen doch Kinder nicht.

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