»Abzock-Griechen« und ein »charmanter Brandstifter«
Eine Presseschau zu den Neuwahlen in Griechenland
Das Scheitern des Präsidentschaftskandidaten im dritten Wahlgang im Athener Parlament am Montag kam nicht überraschend. Ebenso die daraus resultierenden Neuwahlen, die nun für den 25. Januar terminiert worden sind. Wenig überraschend war drittens auch die Kommentierung des Vorgangs in deutschen Medien - die angesichts eines möglichen Wahlsieges des linken SYRIZA-Bündnisses teilweise Schreckensszenarien an die Wand warfen. Nicht unbedingt für Griechenland, sondern für die »Euro-Zone« und Deutschland im speziellen.
Für Paul Ronzheimer von der »Bild« sind die »Abzock-Griechen« zurück: Nach ISIS, der Ukraine-Krise (Ebola setzt der Kommentator dankenswerterweise nicht auch noch in Beziehung zu einer Abstimmung eines Parlamentes) sei jetzt auch noch die Griechenland-Krise zurück - für Deutschland mag das stimmen, in Griechenland war sie angesichts der drastischen Sparmaßnahmen ja nie weg. Aber darum geht es Ronzheimer auch nicht: »Der linksradikale Alexis Tsipras führt in allen Umfragen für Neuwahlen in einem Monat. Die Forderungen seiner Partei sind dreist und gefährlich: Abkehr von allen Reformen, Schuldenerlass und sogar Reparationszahlungen von Deutschland für den Zweiten Weltkrieg.« Sogar Reparationen - das dürfe sich »Kanzlerin Merkel nicht bieten lassen! Sie sollte«, so Ronzheimer, »Tsipras und allen Griechen vor den Wahlen persönlich deutlich machen, was Deutschland von einer künftigen griechischen Regierung persönlich zu Recht erwartet.« Nein, nicht die Übertragung von griechischen Inseln an Deutschland, sondern Vertragstreue - sonst zahlt »Deutschland keinen Cent mehr!« Ein Vorschlag des BILD-Autors bleibt beachtenswert: Angela Merkel, die jedem Griechen persönlich erklärt, warum die Sparpolitik alternativlos ist und er oder sie angesichts persönlicher Verarmung und Verelendung doch das große Ganze sehen müsse - viel Spaß auf dieser Dienstreise!
Heike Göbel in der »FAZ« sieht »wieder Stress mit Athen«. Ein möglicher Wahlsieg von SYRIZA - »ein Albtraum für die europäischen Politiker«. Die Reformen in Griechenland, die Tsipras zurücknehmen will, seien schließlich der Preis für die Hilfsprogramme des IWF, der EZB und der EU gewesen. Die griechischen Schulden lägen derzeit fast nur noch in den Händen öffentlicher Gläubiger der Euroländer - und die müssten dann vor allem den Wählern die Verluste erklären, falls es zu einem Schuldenschnitt kommt. Göbel sieht schlussendlich großen Verhandlungsspielraum für eine künftige griechische Regierung - »die Retter werden wie gewohnt mitspielen« - selbst »die Märkte« hätten gelassen reagiert.
Nur kurz nach Bekanntwerden des Ergebnisses des dritten Wahlgangs orakelte SPIEGEL ONLINE bereits alarmistisch unter dem Titel »Jetzt fängt die Euro-Krise erst richtig an«. Dabei wird Syriza-Sprecher Panos Skourletis zitiert: »Wir wollen nur eine Sache mit Europa verhandeln, und zwar wie wir unsere Schulden erträglicher machen können.« Dass Griechenlands Staatshaushalt ohne Schuldenschnitt angesichts einer durch Sparmaßnahmen abgewürgten Konjunktur langfristig höchstwahrscheinlich nicht zu sanieren ist, erwähnt der Text nicht - es ist schließlich wichtig, unter welchen Bedingungen er zustande kommt. Aber SYRIZAS Pläne wie ebenjener Schuldenschnitt, eine kostenlose medizinische Versorgung aller Griechen, Krediterlässe für überschuldete Haushalte oder die Schaffung von 300 000 neuen Jobs im öffentlichen und privaten Sektor »dürften die Euro-Partner aufschrecken«, so der Autor Giorgos Christides.
Warum eigentlich? Massenverarmung, solange nur Kredite bedient werden, ist wahrscheinlich akzeptabler als eine vermeintliche Einführung des Sozialismus durch die Hintertür, angeblich auf Kosten der europäischen Steuerzahler.
Christides beschreibt in einem zweiten Text zu Alexander Tsipras (»Der charmante Brandstifter«), ebenfalls auf SPIEGEL ONLINE zu finden, auch, wie SYRIZA all die Reformen, die die »Euro-Partner« so in Angst und Schrecken versetzen, im Falle eines Wahlsiegs finanzieren will: »Schulden sollen konsequenter eingetrieben, Steuerhinterziehung besser bekämpft und die Reichen höher besteuert werden.« Außerdem gäbe es noch ungenutzte Mittel aus dem Euro-Rettungschirm und anderen EU-Programmen - diese abzurufen wurde ja durch einen immer mehr »verschlankten« öffentlichen Sektor zunehmend schwieriger. Bemerkenswert bleibt die Erklärung von Christides, warum dieses Programm nicht funktionieren könne: »Analysten halten das, harmlos formuliert, für Wunschdenken. Bei der Eintreibung von Steuerschulden hat Griechenland bisher versagt, warum soll sich daran etwas ändern? Auch neue Steuern für die Reichen hätten sich bisher kaum bewährt. Ohnehin versteuern nur 0,5 Prozent der Griechen ein Einkommen von über 100 000 Euro pro Jahr.«
Stimmt, warum soll sich daran etwas ändern? Aber warum sollten die Griechen dann bei einer Regierung bleiben, unter der sich bisher nichts geändert hat?
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