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Wo Viren ihre Namen bekommen

Das Braunschweiger DSMZ-Institut verschickt Mikroorganismen in 80 Länder

  • Uwe Kraus, Braunschweig
  • Lesedauer: 4 Min.
27 000 Bakterien und Pilze finden sich im Braunschweiger DSMZ-Institut, 22 000 Mikroorganismen-Kulturen werden von dort aus pro Jahr verschickt. Selbst eine kosmische Dimension hat das DSMZ.

Virusforscher Wulf Menzel und seine syrische Doktorandin Samar blicken wie gebannt auf den Teststreifen. Langsam erscheint die Test-, dann die Kontrolllinie. Der Braunschweiger Wissenschaftler lacht ob der verdutzten Gesichter der Besucher. Auch wenn es so aussehe, dies sein kein Schwangerschaftstest. »Unsere Streifen sind aber daran angelehnt«, erklärt der Wissenschaftler vom Leibniz-Institut Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ). »Der Schnelltest zeigt, dass in den Pflanzen der tödliche Mais-Nekrose-Erreger steckt.« In Braunschweig haben die Experten Verfahren entwickelt, um dies schnell und unkompliziert festzustellen, jederzeit und an jedem Ort.

»Unsere Test-Kits liefern wir Züchtern in Afrika ebenso wie den deutschen Pflanzenschutzdiensten an Flughäfen und Hafeninspektoren«, erklärt Menzel. »In der EU gilt für verschiedene Krankheitserreger ein Quarantänestatus, da müssen eingeführte Blumen, Kulturpflanzen und Saatgut getestet werden. Und wer will schon zwei Tage auf ein Laborergebnis warten. Da vergammeln Blumen, und die Schiffsliegezeit kostet ja auch. Mit unseren Kits kann die Ladung in zehn Minuten freigegeben werden.« In Ostafrika kann der Strich auf dem Teststreifen das Todesurteil für die Pflanzen auf riesigen Flächen bedeuten. 2011 zuerst in Kenia ausgebrochen, führt das Mais-Nekrosevirus - kombiniert mit einem weiteren - zur Stauchung und zum Verkrüppeln der Maispflanze. Da in Afrika das Saatgut oft direkt aus der jeweiligen Ernte gewonnen wird, müssen ganze Folgesaaten unterbleiben, weil das Virus beim Nachbau sich weiter verbreiten würde.

»Für jeden Virus gibt es einen speziellen Test«, erläutert Susanne Thiele, Pressesprecherin der DSMZ. Die werden in Braunschweig so gestaltet, dass sie im tiefsten Afrika ohne Laborgeräte und wissenschaftlichen Aufwand benutzt werden können.

Im Sicherheitslabor steht eine verkrüppelte Erdnusspflanze aus dem Sudan. »Irgendwie steckt ein Virus drin«, sagt Menzel. » Es hat noch keinen Namen. Wir arbeiten dran, aber es gibt noch viele Fragezeichen. Schließlich geht es nicht nur um das Virus, sondern auch darum, wie es mit anderen Viren oder unter bestimmten äußeren Einflüssen reagiert. Bei uns erfolgen jedes Jahr eine Reihe von Erstbeschreibungen neu entdeckter Virus-Arten.«

Durch die Globalisierung und den Transport von Pflanzen und Saatgut rund um die Welt wachse die Gefahr, dass Krankheiten von einem Kontinent auf den anderen verschleppt werden, erklärt der Virusforscher. »Erst jetzt tauchte in Spanien ein Virus auf, das die Blattmasse von Zucchini reduziert. Das Virus kannte die Wissenschaft bisher nur aus Indien.« Besonders gefährlich sei es, wenn ein Virus von Wild- auf Kulturpflanzen wechsele und sich über diesen neuen Wirt ausbreite. Die Viren greifen in den Stoffwechsel der Pflanzen ein, lassen sie mickern oder absterben.

»Gewollt ist der Befall sehr selten«, sagt der DSMZ-Experte Menzel. Aber: »Die Schönmalve wird durch die Gelbfleckung für den Blumenfreund attraktiver, und die berühmte Rembrandt-Tulpe bekam früher dadurch ihre Färbung.« Heute entstehe diese aber längst durch Züchtung.

Für das Team von Wulf Menzel dreht sich die Arbeit nicht vorrangig um den Versand von Testboxen, sondern beginnt mit Grundlagenforschung. »Wir können ja nur testen, was wir kennen, um dann Anti-Körper zu isolieren.« Dabei gelten im DSMZ hohe hohe Sicherheitsstandards. »Mit einem Pflanzen-Virus hat sich noch nie ein Mensch infiziert.«

27 000 Bakterien und Pilze finden sich in der Forschungseinrichtung, 22 000 Mikroorganismen-Kulturen werden pro Jahr in doppelwandigen Ampullen verschickt. Elke Lang schaut dabei genau auf die Liste derer, die Bakterien und Pilze bestellen. »Dabei geht es nicht um supergefährliche und hochriskante Kulturen«, betont sie. Unter den Kunden sind auch Schulen und Universitäten, die die Kulturen im Labor-Unterricht nutzen. Die Mikrobiologin verweist darauf, dass damit Nachwuchsförderung betrieben wird. Und die Jugendlichen würden bei der Beschäftigung mit den Mikroorganismen durchaus Seherlebnisse haben, wenn zum Beispiel Bakterien plötzlich leuchten.

Doch neben Schulen und Universitäten stehen Hygienelabors, die Qualitätskontrollstämme ordern, ganz weit oben auf der Liste der rund 10 000 DSMZ-Kunden in 80 Ländern. Selbst in den Kosmos schauen die Experten. »Wir betreiben die ESA-Stammsammlung«, erzählt Lang. »Die Satelliten werden ja unter Reinraumbedingungen zusammengebaut. Damit auch in Sinne des Planetenschutzes keine Organismen auf den Oberflächen sind, wird alles sterilisiert. Manche Bakterien kommen ja aus dem All zurück. Die sind für uns natürlich besonders interessant.« Parallel dazu identifiziert man im Institut Pilze und Bakterien, die Forscher dem DSMZ zusenden.

Für Elke Lang ist wichtig, dass »das verbreitete Feindbild vom bösen Bakterium aus der Welt geschafft wird. Der Mitteleuropäer würde schließlich ohne sie verhungern: kein Joghurt, keine Essigsäure-Gärung, und Bäcker-, Wein- und Bierhefe hätten wir auch nicht.«

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