Mensch, empört Euch doch endlich!
Aber jetzt! Jetzt muss doch mal ein Ruck durch die Bevölkerung gehen, dachte ich mir. Wenn ich ab und an mal mein pessimistisches Naturell vergesse, kommt es zuweilen schon vor, dass ich in unreflektierten Optimismus verfalle. Und dann male ich mir aus, dass bestimmte Hiobsbotschaften, die man uns überbringt, endlich mal zur kollektiven Aufwache führen. Als der CIA-Folterbericht das Licht der Welt erblickte, glaubte ich mal wieder, nun sei es so weit. Man hatte zwar vorher schon gewusst, dass im Namen der Menschenrechte gefoltert wurde - aber jetzt hatte es ja immerhin der Auslandsgeheimdienst selbst offenbart. Das musste doch Wirkung zeigen.
Es gab dann natürlich einige Berichte. Ansonsten blieb es ruhig. Kein #Aufschrei im Internet. Die Artikel, die sich des Themas annahmen, banden auch nicht mehr Leserkommentare als andere. Kein Minister sah sich aufgerufen, mal etwas Kritisches anzumerken. Von der Kanzlerin war eh nichts zu erwarten gewesen. Und in meinem Umfeld kein Sterbenswörtchen dazu. Es zuckte nur mit den Schultern, wenn ich versuchte, das Gespräch dorthin zu lotsen. Es schien mir zu sagen: So ist die Weltordnung nun mal. Da kann man nichts machen. Wer sich empört ob solcher Nachrichten, dem zwinkern diejenigen zu, die sich besonders gut mit dem Ist-Zustand abgefunden haben und sagen, dass man das doch eh immer gewusst habe. »Überrascht dich das etwa?« Und flugs wird man als Naivling hingestellt, der sich noch entrüstet, wo er sich schon lange hätte abfinden müssen.
Dass wir bei Folterberichten und Co. so abgebrüht geworden sind, ist durchaus auch ein Akt der Folter. Seelische Folter an der Idee der Menschlichkeit gewissermaßen. Es ist die sensorische Deprivation mit der man den heiligen Zorn exekutiert. Die Isolationshaft für die Entrüstung. Dunkelhaft, in die man die Leidenschaftlichkeit und den Gerechtigkeitssinn verabschiedet. Die Empathie als Grundlage für Menschenwürde scheint von weißer Folter überrannt worden zu sein.
Das Mitgefühl leidet an Reizüberflutung. Es verliert sich zwischen Verdummung und einem Alltag, der in der Ellenbogengesellschaft ziemlich anstrengend sein kann. Und so stellt sich die Unempfindlichkeit ein. Man schottet sich ab und macht sich gegenüber solchen Meldungen immun. Es wird resigniert. Die Seele baumelt fatalistisch. Kommt mit einer Apathie um die Ecke, die so tut, als sei sie nicht phlegmatisch, sondern Ausdruck höchster Lebensweisheit. Man vermittelt den Eindruck, als sei man im Reinen mit der Beschissenheit dieser amtierenden Weltordnung. Lässt zynische Coolness walten, wo heiße Herzen notwendig wären. Der Empörte freilich, der, der sich nicht abfinden will, der sollte mal lernen kälter zu werden, sich mehr auf sein eigenes Leben konzentrieren, seine innere Mitte finden. Man rät ihm Gelassenheit und lässt ihn dastehen wie einen, der nicht ganz richtig tickt, weil er noch Vorstellungen jenseits dieser Realität hat.
Vielleicht gehen diesem cool-resignativen Lebensgefühl all die miesen Nachrichten nicht gleich runter wie Öl. Aber wie ein schlecht gekautes Leberwurstbrot allemal. Man schlingt es hinunter. Würgt dabei ein bisschen. Dann schluckt man es. Und zuletzt hat man es doch gefressen. Man hat uns allen auch beigebracht: »Iss deinen Teller leer, sonst gibt es keinen Nachtisch.« Wenn aber etwas ungenießbar ist, sollte man den Brocken lieber ausspucken. Und sich darüber entrüsten, was man da aufgetischt bekam. Man hat uns vielleicht in die Alternativlosigkeit verbannt und »Friss oder stirb« als das Leitmotiv gewählt. Aber das sollte uns nicht beeindrucken. Denn wem Menschenrechte, Demokratie und Gerechtigkeit etwas bedeuten, der kotzt Unverdauliches zurück aufs Teller und bestellt den Koch an den Tisch und sagt nicht cool: »Danke, ich habe nichts anderes erwartet.«
Empört Euch doch endlich! Langsam wird es Zeit ungehalten zu werden, findet ihr nicht?
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.