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Dufter Ossi

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine TV-Sendung, die an Udo Jürgens erinnern sollte, war mit den doofen Duettpartnern des großen Meisters auf dessen aktueller Scheibe durchwachsen. Ich schaltete um auf die Sendung, in der Hape Kerkeling kurz und treffend äußerte, Udo habe den Soundtrack der Bundesrepublik geschrieben. Ich finde sogar, er lieferte den Nachkriegsliederreigen des deutschsprachigen Raums. Am besten gefiel mir die Sendung auf 3sat, weil darin Bruder Manfred & Co. per Daumenkino durch die Jahrzehnte führten. Super.

Udo schien auf viele Themen ein Abo zu haben, vom Lied für die deutsche Fernsehlotterie über die Erkennungsmelodie der Trickfilmserie »Tom und Jerry« bis zum Fußball-WM-Schlager. Seltsam, wenn ein anderer Alpha-Artist was anderes sang als »Zeig mir den Platz an der Sonne«, »Vielen Dank für die Blumen« oder »Buenos Dias Argentina«. Seine Songs verfolgten mich, wirkten aber nie peinlich. Mitunter freute ich mich über das »Ehrenwerte Haus« oder »Der Teufel hat den Schnaps gemacht«, weil sich einige Nahestehende darüber freuten.

Während der Pubertät, und weit darüber hinaus, beanspruchten krachigere Combos meine Aufmerksamkeit. Doch Ende der 90er, mit dem Start meiner Gastauftritte bei den Lesebühnen, kamen Udos Lieder wieder zunehmend ins Spiel, denn bei der wöchentlich stattfindenden Reformbühne Heim und Welt sangen die Autoren für jeweils einige Jahre ein Abschlusslied, zum Beispiel Freddy Quinns »Heimweh«. Udo scheint der ewige Rekordhalter zu sein, denn drei seiner Lieder wurden bisher auserkoren: »Liebe ohne Leiden«, »Ich war noch niemals in New York« und »Heute beginnt der Rest deines Lebens.« Letzteren Song sang ein halbes Dutzend Autoren nebst einer Publikumsabordnung auch am 1. Mai ’98 als selbsternannter Fotzenblock, der militante Arm der Liga für Kampf und Freizeit, nahe der Demo am Senefelderplatz in Prenzlauer Berg, und zwar nahe des schwarzen Blocks und der Polizei, kurz vor dem kollektiven Aufbruch. Ach ja.

Dieser Tage kam jemand im Radio auf Udos Auftritte in der DDR zu sprechen, für die nicht alle Interessenten eine Karte bekommen hätten. Skandal. Dabei war Udo ein Ostler, wenn auch in Österreich. Zum Glück ist seit der Wende vieles besser. Vor zwei, drei Jahren klingelte es an meiner Wohnungstür, zuerst dachte ich an die Zeugen Obamas, doch eine Dame winkte mit Karten für die Mehrzweckhalle in Friedrichshain-Kreuzberg. Jawoll, ich war an der Reihe, nach über zwei Jahrzehnten im vereinigten Kanzlerinnenreich, da meine Schwester und ich Mitte der 90er unseren Eltern zwei Karten für Udos Konzert in der Max-Schmeling-Halle in Prenzlauer Berg geschenkt hatten; weil sie zu den Menschen gehörten, die, bevor sie 150 Euro verklimperten, eher 1000 sparten, um sie zu verschenken.

Unsere Eltern verscheuerten die Karten nicht, sie kamen frisch verliebt aus dem Konzert. Auch Udos Abend, dem ich beiwohnte, war großartig. Er agierte als agiler kreativer Künstler, keineswegs als alter Hit-Gaul. Man hätte meinen können, das Leben finge mit 88 Jahren an.

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