Soignierte Herren, die Kunst machen
Kraftwerk in der Neuen Nationalgalerie
Jetzt trinke’ mir zwoi hier erscht noch oins, und dann gange’ mir ins Konzert«, belehrt der leicht angeschwipste Mann am Tisch seine Begleiterin. Das wohlgenährte Paar aus dem Schwäbischen sitzt in einem gemütlichen kleinen Restaurant in der Nähe der Neuen Nationalgalerie, wo die Popgruppe Kraftwerk dieser Tage eine Reihe von acht Konzerten gibt: In chronologischer Folge sollen, so heißt es, die acht klassischen Alben der Band live dargeboten werden.
Dort wollen die beiden Schwaben nachher hin, wie viele andere auch, die angereist sind. Am heutigen Abend soll das Album »Trans-Europa-Express« aus dem Jahr 1977 im Mittelpunkt stehen. Einmal Kraftwerk sehen! Deutsche Pop-Wertarbeit, große Konzeptkunst! Bzw. eben »Kult«, wie die Dummköpfe und notorischen Werbeagenturhohlbirnen sagen.
»Kraftwerk« ist heute das, was PR- und Reklamefuzzis wohl eine »gut eingeführte Marke« nennen würden. Wie etwa die Scorpions, »Volkswagen« oder »Hakle Feucht«. Ein Konsumprodukt »mit Qualitätssiegel« sozusagen, beliebt bei den Goethe-Instituten dieser Welt wie beim Dudelradiohörer von nebenan. So eine Ware entzieht man nicht einfach unüberlegt dem Markt, solange der Verkauf brummt.
Dabei ist Kraftwerk im Grunde schon längst nicht mehr Kraftwerk, sondern die überaus gut gelungene Simulation von Kraftwerk. Von der klassischen Kraftwerk-Besetzung ist heute nur Ralf Hütter übriggeblieben. Gemeinsam mit seinen drei Helfern, sogenannten Audio- und Video-Operators, die - alle bekleidet mit den immergleichen hautengen, futuristisch wirken sollenden Bodysuits - durchweg statisch hinter Pulten auf der Bühne verharren, tingelt er nun schon seit Jahren als eine Art reisender elektronischer Musikzirkus durch die Lande, um den Leuten zu geben, wonach sie verlangen: den Mythos Kraftwerk. Finden die Konzerte, wie jetzt, in der Neuen Nationalgalerie statt, handelt es sich auch nicht um eine Unterhaltungsshow, sondern logischerweise um Kunst.
Vier hinter ihren Pulten erstarrte Männer, 3-D-Video-Show, eine exakt zwei Stunden währende Klangreise in die Popkultur der BRD der 80er Jahre, ein hie und da zeitgemäß aufgeputztes Nostalgie-Spektakel, Kostenpunkt 75 Euro. Und es ist ja auch nichts schlimm daran: Die Künstlichkeit, die Gemachtheit, die Simulation, die straffe Inszenierung des Immergleichen, all das ist für die Ästhetik von Kraftwerk elementar. Es ist heute nur langweilig.
Das einstmals Verstörende, das im Stil und im Formwillen der Gruppe lag, ihr kühler Futurismus, ihr Corporate Design, ihr Ja zur modernen Welt, das in den 70ern und 80ern als wohltuender Antagonismus zur quälenden Larmoyanz und Kitschbegeisterung der Hippiegeneration verstanden werden musste, wirkt heute beinahe antiquiert. Wovon etwa auch Begriffe wie »Telespiel« oder »Bildschirmtext« Zeugnis ablegen, die in 1980 entstandenen Kompositionen auftauchen.
Seit über 20 Jahren hat es im Grunde keine neue Kraftwerk-Platte mehr gegeben. Was ihre musikalische Substanz angeht, muss die sich fortwährend nur noch selbst permanent recycelnde Popband schon längst als inexistent betrachtet werden. Und seit mindestens fünfzehn Jahren ist es mehr oder minder auch dasselbe Szenario, das da auf der Bühne zu sehen ist, sind es dieselben Klänge, die abgerufen werden: eine Art Best-of-Potpourri aus beliebten Songklassikern: Autobahn, Radio-Aktivität, Das Modell, Boing Boom Tschak.
Die 3-D-Brille, die Konzertbesucher am Eingang überreicht bekommen, ist da nur ein neues Gimmick: Ein Volkswagen, Modell Käfer, Expresszugwaggons oder geometrische Körper ragen in Form von 3-D-Projektionen ins Publikum. Bewegte abstrakte Muster flimmern im Bühnenhintergrund.
Und es sind auch dieselben, die zu den Konzerten kommen: ganze Firmenbelegschaften im Betriebsausflugsmodus (»Mal ordentlich abfeiern«), soignierte ältere Herren in Damenbegleitung (»Ein Kunstgenuss«). Im Grunde dieselben Leute, die auch zu Elton Johns oder Helene Fischers Konzerten gehen würden. Wäre Pop gerecht, hätte sich Kraftwerk vor 20 Jahren aufgelöst.
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