Millionen setzen Zeichen der Solidarität
»Republikanischer Marsch« in Paris mit historischer Dimension / Frankreichs Sicherheitskräfte in der Kritik
In zahlreichen Großstädten Frankreichs gab es am Sonntag zur selben Zeit vergleichbare Demonstrationen wie in Paris. Daran nahmen insgesamt noch einmal mehr als eine Million Menschen teil. Hinter die Angehörigen der Opfer der beiden Terroranschläge vom Mittwoch und Freitag haben sich in den Gedenkaufzug in Paris zusammen mit Präsident François Hollande und den Ministern der Regierung rund 50 Staats- und Regierungschefs aus ganz Europa, dem Nahen Osten und Afrika eingereiht. Zu den Teilnehmern gehörten auch Ex-Präsident Nicolas Sarkozy und zahlreiche ehemalige rechte wie linke Premierminister Frankreichs als auch die europäischen und amerikanischen Innenminister, die am Vormittag auf Einladung ihres französischen Amtskollegen Bernard Cazeneuve in Paris zusammengekommen waren, um über die Koordinierung der Abwehr des islamistischen Terrors zu beraten. Aus Deutschland waren in dem Marschzug Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Thomas de Maizière präsent, aus dem Nahen Osten beispielsweise der israelische Premier Benjamin Netanjahu, der Präsident der Palästinensischen Autorität, Mahmud Abbas, sowie der König Abdullah II. von Jordanien.
In dem Demonstrationszug vom Platz der Republik zum Platz der Nation gab es keine Transparente oder Sprechchöre mit politischen Losungen, sondern nur Nationalfahnen und Schilder mit selbst gemalten Losungen, vor allem mit dem Slogan »Ich bin Charlie«. Vertreten waren junge und alte Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung, nicht zuletzt Franzosen ausländischer Herkunft, aber auch Anhänger aller Glaubensrichtungen, von Katholiken über Juden bis zu Muslimen.
Frédéric Boisseau
Philippe Braham
Franck Brinsolaro
Jean » Cabu« Cabut
Elsa Cayat
Stéphane »Charb« Charbonnier
Yohan Cohen
Yoav Hattab
Philippe Honoré
Clarissa Jean-Philippe
Bernard Maris
Ahmed Merabet
Mustapha Ourrad
Michel Renaud
François-Michel Saada
Bernard »Tignous« Verlhac
Georges Wolinski
Wie Bürger islamischen Glaubens berichteten, waren sie beim traditionellen Freitaggebet von den Imamen aufgerufen worden, an der Demonstration teilzunehmen und so zu zeigen, dass die übergroße Mehrheit der französischen Muslime nichts zu tun hat mit den fanatisierten Gewalttätern, die die Attentate verübt haben. Diese Muslime befürchten aber auch, dass die Anschläge von feindselig eingestellten Kräften dazu benutzt werden, einen Keil zwischen sie und andere Franzosen zu treiben und Hass zu säen. Ein Jude erklärte: »Ich und meine Freunde, wir wollen durch unsere Teilnahme bekunden, dass wir trotz der immer zahlreicheren antisemitischen Anfeindungen nicht dem Gefühl der Unsicherheit nachgeben und nicht nach Israel emigrieren werden, denn wir sind und bleiben Franzosen.« Von Demonstranten wurde immer wieder der Wunsch nach Abbau von Vorurteilen und Feindseligkeit betont und nach einem sicheren und friedlichen Zusammenzuleben.
In den Gesprächen wurden aber auch Vorwürfe gegen die Sicherheitskräfte laut, zumal inzwischen bekannt geworden ist, dass die Täter der beiden Terroranschläge seit Jahren als fanatisiert und gewaltbereit bekannt waren. Said Kouachi hatte sich 2011 monatelang offenbar zu einer militärischen Ausbildung in Jemen aufgehalten und Amedy Coulibaly war mehrfach wegen Raubüberfällen zu Gefängnishaft verurteilt worden und hatte dort Kontakt zu islamistischen Scharfmachern. Doch beispielsweise war die Telefonüberwachung der Brüder Kouachi Ende 2013 beziehungsweise Mitte 2014 eingestellt worden, weil es keine Hinweise auf die Vorbereitung von Gewalttaten gab.
Premier Manuel Valls räumte vor der Presse ein, dass es offenbar »Pannen bei den Sicherheitskräften« gegeben hat. Die verweisen darauf, dass in den letzten Jahren mehr als 100 geplante Terroranschläge aufgedeckt und verhindert werden konnten. Gleichzeitig geben sie zu bedenken, dass es in Frankreich gegenwärtig nahezu 5000 Verdächtige vom »Profil« der Brüder Kouachi oder ihres Komplizen Coulibalys gibt und dass zur lückenlosen Überwachung einer einzigen Person 20 bis 25 Polizisten nötig sind.
Man hört also immer lautere Forderungen nach Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen und der Vorbeugung, aber auch Polemik um die Frage, wieweit dabei Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte akzeptabel sind. Heftig diskutiert wird auch über das Verhältnis der Franzosen - und vor allem der linken - zu Polizei und den anderen Sicherheitskräften, die nur zu oft Respekt vor ihrer Arbeit vermissen und die bei den Anschlägen drei der Ihren verloren haben.
Gefordert sind jetzt die Sicherheitskräfte und die Politiker, selbstkritische Schlussfolgerungen aus den erschütternden Ereignissen der letzten Tage, aber auch aus der beispiellosen Mobilisierung der Franzosen zu ziehen, damit - wie es eine Teilnehmerin an der Demonstration sagte - »das Leben in unserem Land künftig sicherer und harmonischer wird«.
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