Autobahn überrollt Mieter

Bewohnern der Treptower Beermannstraße droht die Zwangsräumung

  • Alexander Isele und Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.
Weil ihre Häuser der Verlängerung der A 100 weichen müssen, will der Senat die letzten Mieter in der Beermannstraße schnell loswerden.

Jetzt wird es ernst für die letzten Mieter in den beiden vom Abriss bedrohten Treptower Häusern Beermannstraße 20/22. Der Senat hat ihnen über seine Anwaltskanzlei White & Case mitgeteilt, dass gegen sie ein sogenanntes Besitzeinweisungsverfahren beantragt wurde. Vom 20. bis 23. Januar sind sie zur mündlichen Verhandlung vor der Enteignungsbehörde geladen. Diese ist der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zugeordnet und wird meist tätig, wenn für öffentliche Baumaßnahmen private Grundstücke benötigt werden und sich deren Eigentümer oder Nutzer - zum Beispiel Mieter - dagegen wehren. Die Behörde versteht sich als neutraler Vermittler zwischen den unterschiedlichen Interessen und arbeitet wie ein Gericht weisungsfrei. Ihre Einschaltung verspricht ein kürzeres Verfahren als eine zivilrechtliche Räumungsklage.

Da für den Senat offenbar schon feststeht, wie alles ausgeht, teilten seine Anwälte den Mietern «vorsorglich» schon mal den Termin für die mögliche Zwangsräumung mit - den 16. Februar. Die Kanzlei empfiehlt der Behörde, den Mietern mit «unmittelbarem Zwang» zu drohen, sollten diese den Räumungsforderungen nicht folgen. Laut Gesetz muss eine solche Androhung als letzte Warnung vor einer Räumung übermittelt werden.

Die Anwälte von White & Case begründeten ihre Forderung Zwangsandrohung mit «Erfahrungen in parallelen Besitzeinweisungsverfahren» sowie in dem bisherigen Verhalten der Mieter, die die bisherigen Ersatzwohnungsangebote des Senats als nicht adäquat abgelehnt haben. White & Case schreiben in ihrem Antrag ans Gericht, dass «davon ausgegangen werden muss, dass sich der Mieter auch nach einem Erlass eines Besitzeinweisungsbeschlusses weigern wird, den Besitz zu übergeben».

Dafür gibt es Gründe. Denn den zehn verbliebenen Mietparteien fehlt es schlicht an Alternativen. «Von uns weigert sich keiner, hier rauszugehen. Niemand wohnt hier noch gerne», sagt Mieter Jonas Steinert*. Durch das fühlt sich vorverurteilt: «Wir Mieter werden auf eine Stufe mit Hausbesetzern gestellt. Dass noch so viele Mieter, darunter eine Familie mit drei Kindern, in den Häusern wohnen, beweist für ihn, dass der Senat seinem Versprechen nicht nachgekommen ist, adäquate Ersatzwohnungen anzubieten. Die Wohnungen waren für sie unbezahlbar und lagen zumeist weit entfernt von ihrem bisherigen Kiez. Für Mieter mit schulpflichtigen Kindern ein kaum lösbares Problem.

»Empörend« findet der Grünen-Abgeordnete Harald Moritz den Umgang mit den Mietern, »die nicht so reagieren, wie es der Senat will. Die brauchen Hilfe und keine Drohung mit Rausschmiss.« Moritz ist klar, dass es kaum noch Wohnungen zu den Konditionen gibt wie in der Beermannstraße. Aber statt den Mietern, die nach abgelaufener Kündigungsfrist für den Senat nur noch »Personen« sind, die sich »rechtswidrig« in den Gebäuden aufhalten, finanziell unter die Arme zu greifen, lässt er sie von einer international tätigen Anwaltskanzlei rausklagen, deren Honorar die Höhe eines Mietzuschusses weit übersteigen dürfte. »Absurd«, so Moritz.

Die Mieter haben sich mittlerweile an Bundestagsfraktionen und die Kirche gewandt, die Häuser wenigstens übergangsweise als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen. »Das wären immerhin fast 100 Wohnungen«, sagt Steinert. Der evangelische Landesbischof Martin Dröge habe zugesagt, darüber noch in diesem Monat mit dem Senat zu sprechen. Montagabend wollten Mitarbeiter der Linksfraktion sich über die Situation in den Häusern informieren.

*Name geändert

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