Wegen Fahrpreisen in Fahrt
Wut in Brasilien über Teuerung / Bewegung für kostenlosen Nahverkehr meldet sich zurück
»Nächste Woche werden wir noch mehr sein«, schreit ein junger Mann einer Gruppe grimmig schauender Polizisten entgegen, die in voller Kampfmontur eine Bank auf Brasiliens Prachtstraße Avenida Paulista bewacht. Am vorigen Freitag löste die Polizei in São Paulo gewaltsam eine Demonstration gegen Fahrpreiserhöhungen auf - noch am Abend erklärte die Bewegung für den kostenlosen Nahverkehr (MPL), dass bereits am kommenden Freitag die nächste Demonstration in der Millionenmetropole stattfinden wird.
Bereits im Juni 2013 kam es nach einer geplanten Fahrpreiserhöhung zu Protesten in São Paulo. Nach gewalttätigen Polizeieinsätzen schwappten die Demonstrationen auf andere Städte über und entwickelten sich zu wochenlangen Massenprotesten im ganzen Land. Die MPL, die sich als »horizontal und parteienlos« versteht, hofft nun auf eine Wiederholung der »Formel 2013« und einen ähnlichen Dominoeffekt wie damals.
Auch in anderen brasilianischen Städten wurden die Fahrpreise Anfang des Jahres erhöht und Tausende Menschen gingen bereits auf die Straße. In São Paulo will sich die MPL auch die Wut vieler Paulistas - der Bewohner der Metropole - gegen die Fahrpreiserhöhung zunutze machen. Ein älterer, schnurrbärtiger Maisverkäufer am Rande des Protests vom Freitag kann die Demonstranten verstehen. »Der Tarif ist doch jetzt schon viel zu hoch«, schimpft er.
Laut den Veranstaltern beteiligten sich am vergangenen Freitag rund 30 000 Menschen an der Demonstration. Als sich der Protestzug der Avenida Paulista näherte, beendete die Polizei vorzeitig die Demonstration und trieb die überwiegend jungen Teilnehmer mit Tränengas und Gummigeschossen durch die Straßen. Über 50 Personen wurden dabei festgenommen, mehrere Menschen wurden verletzt. »Leider war dieses Verhalten der Polizei abzusehen«, sagte eine junge Demonstrantin, die in eine Seitenstraße geflüchtet war, um dort ihre vom Tränengas geschwollenen Augen mit Essig auszuspülen.
Die MPL verurteilte in einem Schreiben das Vorgehen der staatlichen Sicherheitskräfte: »Die brutale Polizeigewalt ist eine klare Antwort der Regierung auf den Protest der Bevölkerung gegen die Erhöhung der Fahrpreise.« Die bürgerlichen Medien versuchen indes, die Demonstrationen der MPL als Aktion von »Vandalen und Kriminellen« abzustempeln. Statt über die Forderungen Tausender zu berichten, stürzte sich die Presse auch jetzt wieder einmal auf Sachbeschädigungen durch Einzelne und spielte die Polizeigewalt herunter.
Auslöser der Demonstration war eine Fahrpreiserhöhung in der Millionenmetropole. Ende Dezember hatten Stadtverwaltung und Landesregierung erklärt, sowohl die Bus- als auch die U-Bahn-Preise auf 3,50 Reais (etwa 1,12 Euro) zu erhöhen - seit dem 6. Januar zahlen die Fahrgäste 50 Centavos mehr. Die Bewohner der armen Vorstädte, die auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, trifft die Anhebung der Tarife besonders hart. Einen Tag nach der Erhöhung rissen wütende Passagiere in einer Bahnstation im östlichen Randgebiet der Stadt Drehkreuze aus ihrer Verankerung. Im Interview mit der brasilianischen Ausgabe von »El País« hatte São Paulos Bürgermeister Fernando Haddad von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei PT die Erhöhung mit der Finanzierung von notwendigen Projekten in der Stadt gerechtfertigt. »Für mich ist dies eine Lüge. Fehlendes Geld wird als Argument vorgeschoben. Das Problem ist, dass sich die öffentlichen Ausgaben an ökonomischen Interessen statt an Sozialpolitik für Gesundheit, Bildung und Transport ausrichten«, erklärt der Aktivist Jefferson am Rande der Demonstration.
Die Stadtverwaltung hatte Anfang Januar zudem verkündet, sozial schwachen Studenten kostenfreie Nutzung des Nahverkehrs zu ermöglichen. Viele Aktivisten deuten dies als Versuch, die Bewegung zu spalten. Laut dem Studenten Santiago sei der Zugang zu dem Programm außerdem »sehr schwierig und begrenzt«. Die MPL gibt sich kämpferisch und will vom Ziel eines kostenfreien Nahverkehrs nicht abrücken. Auch 2015 dürfte somit ein spannungsreiches Jahr für Brasiliens Linke werden.
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