Bestellte Klagen gegen den Atomausstieg
Pikanter Briefwechsel zwischen Ex-RWE-Vorstand und hessischem Regierungschef könnte Bund Millionen kosten
Der Briefwechsel hat das Zeug zum politischen Skandal: Laut einem Fernsehbericht hat der ehemalige Vorstandschef des Energieversorgers RWE, Jürgen Großmann, bereits im Jahr 2011 beim hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) ein Schreiben bestellt, das als wesentliche Grundlage für die aktuellen Klagen der AKW-Betreiber gegen den Atomausstieg gilt - und der CDU-Politiker lieferte prompt. Das ARD-Magazin »Monitor« machte den Vorgang am Donnerstagabend bekannt.
Die Klagen der Konzerne richten sich gegen die Stilllegung mehrerer Meiler eine Woche nach Beginn der Atomkatastrophe in Fukushima am 11. März 2011. Die deutschen Behörden hatten damals alle deutschen AKW zunächst einem Blitzstresstest unterzogen und die sieben ältesten - darunter das von RWE betriebene AKW Biblis in Hessen - für zunächst drei Monate abgeschaltet. Im Juni 2011 wurde entschieden, sie nicht wieder in Betrieb zu nehmen.
Die Atomkonzerne RWE, E.on und EnBW haben den Bund und die jeweiligen Länder nun auf Schadenersatz in Höhe von insgesamt rund 880 Millionen Euro verklagt. Sie halten das Moratorium für einen rechtswidrigen Eingriff in ihre Eigentumsrechte - vor der Verfügung seien sie nicht angehört worden. Dass die Verfügung fehlerhaft war, hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof bereits 2011 bestätigt und den Schadenersatzanspruch im Grundsatz anerkannt.
RWE hätte Biblis deshalb nach Auslaufen des Moratoriums eigentlich wieder ans Netz nehmen können. Dass dies nicht geschah, begründete der Konzern vor allem mit einem Brief Bouffiers vom 13. Juni 2011. Darin heißt es, die hessische Atomaufsicht werde im Fall einer Wiederinbetriebnahme »dagegen vorgehen«. »Dieser Brief hat eine Grundlage für die heutigen Schadenersatzforderungen geschaffen«, sagte Joachim Wieland, Professor für öffentliches Recht von der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, gegenüber »Monitor«.
Die Landesregierung in Wiesbaden bestätigt, dass Bouffier kurz vor Auslaufen des Moratoriums an Großmann geschrieben hat. In dem Brief stand, dass ein genereller Atomausstieg komme und Biblis deshalb nicht wieder angefahren werden sollte. Dies sei aber nicht rechtsverbindlich, sondern ein »politisches Schreiben« gewesen, heißt es.
Ein »Monitor« vorliegendes Schreiben zeigt nun, dass Großmann den hessischen Regierungschef vorher ausdrücklich um eine entsprechende Ankündigung bat und sich dabei auf eine Zusage von Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) berief: »Herr Minister Pofalla sagte mir zu, mir [...] einen schriftlichen Bescheid zu geben, dass Sie ein evtl. Anfahren verhindern werden. Wann können wir mit diesem Schreiben rechnen?«
»Der Brief ist von RWE bestellt worden, und die Politik hat geliefert«, konstatiert Atomrechtsexperte Wieland. Und der frühere Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, Wolfgang Renneberg, urteilt: »So sind die Millionenklagen der Atomkonzerne erst möglich gemacht worden. Ein solcher Vorgang hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun.«
Die atompolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sylvia Kotting Uhl, hält »diese Nähe zwischen Politik und Energiekonzernen, um den Steuerzahler um sein Geld zu bringen«, für »unglaublich empörend.« Ihre Fraktion fasst nach ARD-Angaben die Einberufung eines Untersuchungsausschusses ins Auge. Für Janine Wissler, Fraktionsvorsitzende der LINKEN im hessischen Landtag, »steht der Verdacht im Raum, dass das Verhalten des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier den Atomkonzernen die Möglichkeit eröffnet hat, eine Hunderte von Millionen Euro umfassende Schadenersatzklage einzureichen«. »Sollte sich das bestätigen, wäre es an der Zeit, dass der Regierungschef für das entstandene Desaster die persönliche Verantwortung übernimmt und Konsequenzen zieht«.
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