Paten oder Taten

Spendensammler konkurrieren mit modernen Methoden um Mittel für die Armen

  • Roland Bunzenthal
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Markt der Spendensammler ist umkämpft. Das Marketinginstrument Patenschaft ist dabei en vogue. Klassische Hilfsorganisationen geraten dabei ins Hintertreffen.

Der Postwurf-Brief enthält mehrere Flyer mit zwei Arten von Fotos: zum einen Bilder von Mädchen aus Entwicklungsländern im Alter von ungefähr zwischen drei und sechs Jahren. Keine Hungerbilder - die Kinder wirken wohl ernährt. Zum anderen Fotos von vier prominenten deutschen Schauspielerinnen sowie vom Journalisten Ulrich Wickert. Darüber das Motto: »Unterstützt die Mädchen!«

Die Prominenten haben eines gemeinsam: Sie zahlen monatlich 28 Euro für eine Kinderpatenschaft der Organisation »Plan International« für ein Kind in einem Entwicklungsland. Wickert gehört zudem noch dem Kuratorium von »Plan Deutschland« mit Sitz in Hamburg an.

Diese sogenannte Direct Mailing Aktion ist Teil des verschärften Wettbewerbs auf dem Spendenmarkt. Dabei haben die klassischen Hilfswerke die schlechteren Karten. Grund: Es fehlt ihnen der persönliche Bezug zwischen Spendern und Empfängern. Wer sein Patenkind per Brief, Besuch oder neuerdings auch per Internet erleben darf, ist ungleich spendabler.

Für Andreas Lohmann, bei Misereor zuständig für das Thema Spenden, ist die Einzelpatenschaft »keine sinnvolle Strategie«. Statt einzelne Kinder aus ihrem Umfeld heraus zu privilegieren, bietet er potenziellen Spendern dagegen die Möglichkeit, Pate eines ganzen Hilfsprojektes zu werden. Nicht anders würden auch die bekannten Patenorganisationen agieren: Das gespendete Geld fließe auch dort in die Gemeinschaftskasse der Gemeinde oder Kooperative und bleibe nicht in den Händen des Patenkindes oder seiner Familie.

Täuschen »Plan International« oder »World Vision« etwas vor, was gar nicht einzuhalten ist? In ihrem Jahresbericht schreibt »World Vision«, »die Hilfe einer Patenschaft beschränkt sich nicht auf das Patenkind, auch die Familie und das Umfeld werden eingebunden«. Das klingt wie Kindergeld für die Eltern. Das Kind fungiere als »Botschafter« seiner Gemeinde. »Das Geld der Paten kommt ausschließlich dem gesamten Projekt zugute«, erklärt auch Plan-Sprecher Marc Tornow und auf diese Weise »natürlich auch dem Patenkind«.

Das Marketinginstrument Patenschaft trägt jedenfalls Früchte: Mit einem Rekordvolumen in Höhe von 131 Millionen Euro an Spenden endete das letzte Plan-Finanzjahr am 30. Juni, ein Zuwachs um stolze 13 Prozent zum Vorjahr und mehr als doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Damit hat sich Plan an die Spitze der deutschen Spendensammler, Sektion »Dritte-Welt-Hilfe«, gesetzt. Zwar haben die klassischen Hilfswerke wie Brot für die Welt oder Misereor noch immer mehr Geld zur Verfügung für ihre Projekte, jedoch nur, weil im Schnitt für jeden Spenden-Euro das Entwicklungsministerium ihnen zwei Euro an Zuschüssen drauflegt - als Unterstützung für die Aktivitäten vor Ort.

Der Plan-Erfolg steht auf drei Beinen, erläutert Tornow: »Vertrauen schaffen durch prominente Unterstützer«, sich das ganze Jahr über in Erinnerung bringen sowie einen persönlichen Bezug herstellen zwischen den mittlerweile 310 000 Patenkindern und ihren 280 000 Unterstützern. Denen sei durchaus bewusst, dass die Förderung nicht dem Patenkind allein zugutekommt. Dennoch würden diese den Kontakt halten - durch Briefe und neuerdings auch per Internet. So hat »World Vision« seit Kurzem ein spezielles Paten-Portal eingerichtet, das den Kontakt intensivieren soll.

Das Internet werde zunehmend auch dazu genutzt, ohne große Organisation selbst gefundene Projekte und Menschen vor Ort auf direktem Wege zu unterstützen, meint Lohmann. Das erkläre zumindest teilweise, weshalb immer weniger Bundesbürger über die bestehenden Organisationen spendeten. Ebenfalls könnte auch das wachsende Misstrauen der Bürger gegenüber mehr oder weniger bürokratischen Großorganisationen wie Parteien, Gewerkschaften oder Kirchen eine Rolle spielen - für Lohmann ein »Kulturwandel«.

Dagegen würden die verbleibenden Geldgeber diese Entwicklung kompensieren und »sowohl häufiger als auch im Schnitt jeweils höher« spenden. Hatte einst etwa die Hälfte der Bevölkerung ab und zu den Geldbeutel für diverse humane Zwecke geöffnet, ist es jetzt noch etwa ein Drittel. Das verschärft jedoch den Wettbewerb auf dem Spendenmarkt. Immer wichtiger beim sogenannten Fundraising wird dabei der Umgang mit den Medien. Der Hilfs- und Sammel-Konzern Plan geht in seinem professionellen Marketing dabei sowohl über Internetanzeigen als auch über Zeitungsbeilagen und Mailing. Alles in allem gibt er mittlerweile elf Prozent seiner Einnahmen für Werbung aus - im Jahr davor waren es erst neun Prozent. Bei Misereor sind es zum Vergleich nur 2,7 Prozent - nicht gerechnet allerdings die »Spendenakquise« von der Kirchenkanzel herab.

Das Gütesiegel des Deutschen Zentralinstitutes für soziale Fragen gibt es trotzdem auch für Plan - denn erst bei bürokratischen Zweckentfremdungen von über 35 Prozent ist für die Siegelbewahrer Schluss.

Im vergangenen Jahr haben die Bundesbürger rund 4,7 Milliarden Euro gespendet, haben die Marktforscher der Nürnberger GfK eruiert vier Prozent mehr als 2013. Doch über die Hälfte des gesellschaftlichen Spendenaufkommens fließt in überschaubare inländische, häufig sogar lokale Projekte - von der Kultur- und Sportförderung bis zur Katastrophenhilfe im Kleinen. 120 Millionen brachte beispielsweise das jüngste Hochwasser in Norddeutschland den Hilfswerken ein. Die fernen Dauerprobleme lassen dagegen die Menschen hierzulande kalt - bis wieder mal eine medienspektakuläre Katastrophe die Geldbeutel der Spender öffnet. So brachten die Jahre 2005 nach dem Tsunami in Südostasien und 2010 nach dem Erdbeben in Haiti Hochkonjunktur bei den Fundraisern. Schaut man sich die Werbetexte der einzelnen Hilfsvereine genauer an, verschwinden die entwicklungsstrategischen Unterschiede: Alle wollen Kleinbauernkooperativen fördern, Grundschulen gründen und sich als Anwalt und Lobbyist der Armen einsetzen. Den unterdrückten Menschen wollen die Helfer den Rücken stärken gegen politisch oder wirtschaftlich Mächtige. Plan und »World Vision« verhalten sich etwas zurückhaltender - auch um die Paten nicht durch politische Aktionen zu verschrecken, begründet das ein Experte.

Auf der anderen Seite fördert der direkte Kontakt die Bewusstseinsbildung hierzulande - ein Anliegen, das auch den kirchlichen Helfern am Herzen liegt. Noch bringt das Konzept der Projektpatenschaft nicht den gleichen Motivationsschub bei den Spendern wie die Einzelkindunterstützung. So dringen immer mehr Paten darauf, »ihr« Kind auch mal zu besuchen. Dabei lernen sie vielleicht, die Wirksamkeit der verschiedenen Organisationen in ihrer Feldarbeit zu beurteilen. Denn die Effektivität weise eine ziemliche Spannbreite auf, hat das Berliner Institut Phino vor Kurzem festgestellt. Der Vergleich der Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit bei der Zielgruppe des Projektes - das wäre ein rationales Kriterium für die Entscheidung, wem die Spende zukommen soll.

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