#DLD15: Das Internet als Riesen-Pleite
In München warben junge Unternehmer um Investorengelder
Digital Life Design (DLD) ist eine dieser Konferenzen, die junge Unternehmer mit Investoren zusammenbringt, die erfolgsversprechende Geschäftsmodelle suchen. Die Jungunternehmer zahlen nichts und dürfen in München ihre Ideen vortragen, die Investoren zahlen 2750 Euro und dürfen zweieinhalb Tage lang netzwerken und Talente angeln.
Ideen rund um Kunst, Lebensstil und Biotech werden auf der DLD verhandelt, doch meistens läuft es darauf hinaus, dass »das Internet« gepriesen wird. Im elften Jahr ihres Bestehens war das zunächst nicht anders: Am ersten Tag trat Travis Kalanick auf, der Chef des Taxi-Ersatzdienstes Uber, berüchtigt für seine rabiate Geschäftsmethoden. Den Zuhörern erzählte er, wie nachhaltig und umweltbewusst sein Dienst die Städte verändern wird und das man im nächsten Jahr in Europa 50.000 Arbeitsplätze schaffen werde.
Die Besänftigung verblüffte viele, nicht jedoch den Autor Andrew Keen, der Tags darauf in München auftrat: »Kalanick hat da seine Jesus-Klamotten angezogen und kompletten Unsinn erzählt«, donnerte der Mann, der das Internet in seinem Buch »Das digitale Debakel« als »Riesen-Scheiss-Pleite« bezeichnet. Den anwesenden Technikjournalisten empfahl Keen, in den nächsten Jahren genau hinzuschauen, ob Uber wirklich 50.000 neue Jobs schafft. »Sowas macht ihr ja nicht, das würde eure feuchten Technikträume stören.« Für Keen ist das Internet eine »verkommene Idee«, die es einer Handvoll »weißer Bubis« wie Travis Kalanick, Mark Zuckerberg (Facebook) und Larry Page (Google) gestattet, einen enormen Reichtum anzuhäufen, ohne der Gesellschaft den Rücken zu stärken. Sein Lieblingsbeispiel: Als Mark Zuckerberg sich eine Villa in Kalifornien kaufte, kaufte er die umliegenden Grundstücke und Häuser, um nicht von »Nachbarn« belästigt zu werden.
Keen stellte sich in München als rabiater Kritiker des Internet vor, der seinen Moderator nicht ausreden ließ und permanent mit der Frage provozierte, was es denn mit dem »arabischen Frühling« auf sich habe, mit dem Technomärchen, dass Smartphones und soziale Netzwerke die Veränderungen in Agypten, Tunesien oder Libyen bewirkt haben. Hier kann kann man sich das Video seines fulminanten Auftritts ansehen, der sicherlich der Höhepunkt des DLD 2015 war.
Dabei ist Keen kein Kritiker des Kapitalismus oder des American Way of Internet, sondern der unsozialen Ader der Netz-Entrepreneure. Auch das wurde in seinem Vortrag deutlich. Er verglich die jungen Neureichen mit den Öl- und Stahlbaronen der ersten Industrialisierung Amerikas, die für ihre Arbeiter Siedlungen anlegten und Krankenhäuser bauten. Tycoons wie Carnegies hätten damit einen Gemeinsinn beweisen, der den heutigen Gewinnern abgehe. Sie müssten mehr Verantwortlichkeit entwickeln, oder der Staat müsste eingreifen: »Wir brauchen mehr Verantwortlichkeit. Wenn Monopole wie die von Google oder Facebook nicht reguliert werden, ist das ganze Gerede von den Segnungen der Sharing Economy wertlos«, donnerte Keen in München.
Man könnte meinen, dass Keen mit seinen Ansichten auf einer Internet-Konferenz wie DLD eine Randfigur darstellt. Doch weit gefehlt: Gleich vier weitere Redner beschäftigten sich mit der Frage, was mit den vielen Arbeitslosen passieren soll, die die weitere Digitalisierung der Gesellschaft produzieren wird. Nicht alle gingen dabei so weit wie Andrew McAfee (Autor von Race against the Machine), der Gedanken ausbreitete, die der deutschen Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen ähneln. Näher dran an der Denkweise der DLD-Teilnehmer dürfte der Investor Joe Schoendorf von Accel Partners gewesen sein, als er fragte: »Was machen wir mit all den Leuten, deren Jobs wir mit Maschinen und Programmen ersetzen?« Nur um im selben Atemzug strahlend zu verkünden »Sie sind eine wunderbare Marktchance....«.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.