Eine Insel in der deutschen See

Erfüllter Traum vom eigenen Haus: Das Conne Island in Leipzig wird 15 Jahre alt

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.
Im Sommer konnte im »Conne Island« ein unerhörtes Geschehen beobachtet werden. Unter den hohen Bäumen im Biergarten wurden die Spiele der Fußball-WM übertragen. Der Laden war rappelvoll, nicht zuletzt bei Partien der deutschen Nationalmannschaft. Die wurde sogar emsig angefeuert. Die Zuschauer in dem linksalternativen Haus scheuten nicht einmal davor zurück, schwarz-rot-goldene Fahnen zu schwenken. »Wir waren«, gesteht Christian Schneider vom Projekt-Verein, »völlig verblüfft.«
Vor überraschenden Wendungen und Neuorientierungen sind Betreiber und Besucher des Hauses im Leipziger Süden, das in diesen Tagen seinen 15. Geburtstag feiert, nie gefeit gewesen. Allerdings gab es in der Geschichte des Projektes, das subversiven Kulturanspruch mit linksradikaler Orientierung verbindet, auch Konstanten: die Affinität zur Antifa, Kritik am Kapitalismus und nicht zuletzt die antideutsche Ausrichtung. »Deutschland fluten!«, ist noch immer auf einem Transparent zu lesen: »Deutsche Realität in den Abfluss!«

Wurzeln im Mockauer Keller
Die Verweigerung gegenüber einem Deutschland, dessen alltägliche Zustände als nationalistisch und rassistisch empfunden wurden, reicht zurück bis in die Gründungszeit des Conne Island, dessen Name an eine New Yorker Konzertbühne erinnert, das Haus aber auch als kulturelle Insel im Leipziger Stadtteil Connewitz beschreibt. Begründet wurde das Projekt von einer Gruppe, die ihre Wurzeln in der subversiven Konzertszene des Mockauer Kellers hatte, eines kirchlichen Gemeindezentrums, in dem Punk- und Hardcore-Konzerte stattfinden konnten. Während dessen Aktivisten aber 1989 noch »Aktion jetzt!« forderten, wurde der Name angesichts verbreiteten Vereinigungstaumels in »Reaktionsgruppe« geändert: Gegenwehr gegen die Verhältnisse wurde lange Zeit zum Daseinszweck Das Haus sei, heißt es im Jahr 2001 in einem Artikel über die politische Bedeutung des Conne Island, »in seiner Epoche«, ein »polit-kulturelles Abgrenzungsmodell«.
Daran hat sich wenig geändert, seit die Reaktionsgruppe im Juli 1991 den damaligen »Eiskeller« in Eigenregie übernahm. Der Eiskeller, zuvor Jugendklubhaus »Dr. Erich Zeigner«, hatte zu den wenigen verbliebenen Orten für die alternative Konzertszene gehört, die zuvor auch den »Anker« oder die »naTo« genutzt hatte. Als Gerüchte über den Verkauf und die Einrichtung einer Großdiskothek aufkamen, besetzte die Reaktionsgruppe samt Sympathisanten im März kurzerhand das Rathaus. Statt des Rauswurfs gab es einen Mietvertrag. Der »Traum vom eigenen Haus«, hieß es in einem Essay anlässlich des 10-jährigen Bestehens, konnte umgesetzt werden.
Auf ganz festem Grund stand das »eigene Haus« freilich nie, auch wenn sich die Art der Gefährdungen änderte. In den frühen 90er Jahren musste regelmäßig »Fa-scho-Alarm« ausgerufen werden, wenn die rechte Szene zu Überfällen rüstete; Sympathisanten besetzten das Haus dann nächtelang. Inzwischen sind es eher finanzielle Verhältnisse, die für Verunsicherung sorgen. Zwar erwirtschaftet der Verein, der rund 150 Konzerte im Jahr ausrichtet, bis zu 80 Prozent der Einnahmen selbst. Eine von der Stadt angedrohte Umstellung der festen Förderung auf Zuschüsse für Projekte würde dem Haus eine »elementare« Grundlage entziehen, so Schneider.
In Frage gestellt wäre damit ein Haus, das überregional als einer der Kristallisationspunkte der linksalternativen Szene im Osten der Republik gilt und das stets versuchte, seinen kulturellen Anspruch politisch zu begründen. Als »Sammelpunkt linksradikaler Initiativen« sei das Conne Island ein linksradikales Projekt geworden, »ohne dass ein Plenum jemals diesen Anspruch formuliert hätte«. Indizien sind die Auswahl der Bands, die im Haus spielen, die Zusammensetzung der Gruppen, die Räume nutzen können, die Preise an der Konzertkasse und im Infoladen, aber auch das Erscheinungsbild. Die »eher punkigen Ordnungs- und Hierarchievorstellungen«, heißt es euphemistisch, »widersprachen den gängigen deutschen Sekundärtugenden«.

Gegen Stalinismus und Kapitalismus
Dabei wandelten sich im Laufe der Jahre die Schwerpunkte. Lautete 1991 noch eine Parole »Gegen Stalinismus und Kapitalismus«, dominierten später militanter Widerstand gegen Nazis und antideutscher Protest. Legendär sind »Antifa-Riots«, bei denen die Proteste gegen die rechte Szene wie auch gegen deren Verankerung in der Mitte der Gesellschaft nicht ganz gewaltfrei blieben. Als man sich mit dieser Kritik im Gefolge des »Aufstands der Anständigen« plötzlich an der Seite der deutschen Politik fand, musste die eigene Position freilich neu bestimmt werden - einer von vielen Fällen, in denen im Conne Island das Selbstverständnis kritisch überprüft wurde.
Fragen wie die, was selbstbestimmtes Leben bedeutet, ob Verweigerung gegenüber den Verhältnissen auch heißt, sich mit dem Bestehenden zufrieden zu geben, oder wie der Anspruch auf Subversion zu halten ist, wenn die Unterschiede zwischen Underground und Mainstream schwinden, füllten endlose Plenarsitzungen und viele Seiten im hauseigenen Newsletter, der in der Szene breit gelesen wird.

Punks mit Deutschlandschal
Nicht erst die Punks mit Deutschlandschal, die zur WM im Garten des Conne Island saßen, belegen indes, dass die Debatten auch nach 15 Jahren keineswegs abgeschlossen sind. Ein Plenum, berichtet Schneider, habe sich bereits vor der WM mit dem Phänomen des »Event-Patriotismus« beschäftigt und eine Erklärung abgegeben - die aber in der Szene offenbar nicht die gewünschte Resonanz fand. Es erwachse die generelle Frage, wie mit der »Entpolitisierung der Subkulturen« umzugehen sei.
Die Verhältnisse geraten ins Rutschen: Anders als in den Gründungszeiten des Conne Island, ist Hardcore nicht mehr unbedingt die Musik der Antifa; es gibt deutschnationalen Hiphop; Punkerkleidung wird bei H & M verkauft. Man könne »die Subkulturen nicht davor retten«, sagt Schneider, aber man könne »einen inhaltlichen Rahmen setzen»: Auch weiterhin soll ein Auftritt im Conne Island eine Art politisches Bekenntnis sein. Passt eine Band nicht ins Raster, behält sich das Haus vor, sie nicht auftreten zu lassen - trotz gelegentlicher Zensurvorwürfe.
Das permanente Hinterfragen der eigenen Ansprüche und Ziele belegt, dass das Conne Island auch in der fünften Betreibergeneration zwar etabliert ist, aber nicht arriviert daherkommt. »Wer in Leipzig zwischen 17 und 32 Jahre alt ist, kennt uns«, sagt Christian Schneider. Als was genau das Haus bekannt ist, wird aber weiter im Plenum beraten werden. Im Gegensatz zur Selbstdefinition, die immer knapper wird, je komplizierter die gesellschaftlichen Verhältnisse werden, gewännen die politischen Debatten und Erklärungen an Substanz, heißt es. Zum neuen Nationalismus etwa gibt es eine differenzierte Position, die weit über den »Deutschland fluten!«-Slogan an der Fassade hinausgeht. Was die Überlegungen fruchten, zeigt sich spätestens in zwei Jahren. Dann ist Fußball-Europameisterschaft.
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