Anleitung zum Vorurteil
Wir müssen noch mal auf Pegida zu sprechen kommen. Die Volkstanzgruppe aus der Stadt am Erzgebirge gilt eigentlich als erledigt, seitdem Herbert Grönemeyer ankündigte, am Montag in Dresden beim Songcontest gegen Pegida aufzutreten. Allein die Ankündigung, er werde seinen Hit »Flugzeuge im Bauch« zum Besten geben, soll unter den Pegida-Leuten Angst und Schrecken ausgelöst haben. Einige sollen seit Tagen den Nachthimmel über Dresden nach Anzeichen absuchen, die auf eine Wiederkehr von Bomber Harris hindeuten.
Die Dresdner werden aber sicher bald einen Ersatz für ihren Volksauflauf finden, denn sie sind Sachsen, und der Sachse ist laut dem Dresdner Psychiater Hans-Joachim Maaz »natürlicher, direkter, geselliger, ohne großes Gewese und Gehabe«.
Diese Charakterisierung kommt mir bekannt vor. Sie beschreibt auch den gemeinen Lichtenberger (wobei ich allerdings davon ausgehe, dass die Aussage von Maaz auch auf die Friedrichshainer, Spandauer und wahrscheinlich auch auf die Hamburger, Londoner, New Yorker oder die Menschen in Peking zutrifft; aber das nur nebenbei). Auch der Lichtenberger sagt gerne und oft, was er gerade denkt - und das an Orten, an denen viele Menschen der Unterhaltung lauschen können, z.B. in der Schlange vor der Supermarktkasse oder in der S-Bahn - also in geselliger Runde.
Vor allem aber sagt der Lichtenberger (hier bitte je nach Ressentimentvorliebe Bewohner anderer Berliner Stadtteile bzw. anderer Städte einsetzen) es so laut, dass es auch jeder in einem Umkreis von zehn Metern hören kann. Wie zum Beispiel neulich in der S 5 zwischen Ostkreuz und Nöldnerplatz. Vier junge Frauen, alles Mütter mit dem Nachwuchs im Kinderwagen, unterhalten sich über dies und das. Aus dem zunächst im leisen Plauderton geführten Gespräch geht hervor, dass drei der Frauen einen sogenannten Migrationshintergrund haben: die eine stammt aus dem russischsprachigen Raum, die zweite ist Polin, die dritte hat vietnamesische Wurzeln. Schließlich empört sich die vierte lauthals: »Ick hab’ ja nüscht jejen Ausländer, aber seit einiger Zeit jibt et mir hier zu viele.« Irritiert blicken die anderen drei auf und schauen einander an, woraufhin die Lautsprecherin eilfertig versichert, dass sie natürlich nicht ihre drei Freundinnen meine, sondern die vielen Kopftuchträgerinnen, die man seit einiger Zeit nebst Anhang auf den Straßen Lichtenbergs antreffen könne.
Dem Blick meines Sitznachbarn entnehme ich, dass er kurzzeitig überlegt, ob er irgendetwas sagen soll. Er lässt es bleiben, nachdem die vier Frauen aufgestanden sind und zu ihren Kinderwagen eilen, um am nächsten Bahnhof auszusteigen. Auch die, die gegen Ausländer dann etwas hat, wenn sie nicht aus Lichtenberg stammen, greift sich einen der Wagen. Darin sitzt ihr Sohn, ein kleiner Junge, mit einer Haut, so dunkel wie das Gemüt der Pegida-Anhänger.
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