Alte Ängste auf beiden Seiten der Grenze
Tote bei Gefechten an israelisch-libanesischen Linien / Hisbollah: Vergeltung für Luftangriff vom 18. Januar
Es sind Momente, in denen die Erinnerung zurückkommt. »Wir haben Angst«, sagt Sarah Cohen aus Kirjat Schmonah, einer Stadt im Norden Israels. »Wenn es Krieg gibt, weiß ich nicht, wie es weitergehen soll«, erklärt Fuad Geagea aus Ouazzani jenseits der Grenze zu Libanon. Achteinhalb Jahre ist der letzte Krieg zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah nun her, doch die Erinnerung an den 38-tägigen Konflikt »ist noch frisch«, so Cohen, »als wäre es gestern passiert«, so Geagea, und an Tagen wie diesen, sagen beide, wie auch viele andere Menschen in der Region, geht die Sorge um, dass es nun wieder passieren wird: der libanesische Raketenregen, der israelische Bombenhagel, die Tage im Bunker, die Wochen auf der Flucht.
Die Vorzeichen, da sind sich die Analysten auf beiden Seiten einig, sind jedenfalls da. In der vergangenen Woche waren bei einem israelischen Luftangriff auf syrischem Gebiet acht Politiker der Hisbollah und ein iranischer General getötet worden. Am Dienstag wurden dann von syrischem Gebiet aus zwei Raketen auf den von Israel besetzten Teil der Golanhöhen abgefeuert. Am Mittwochmorgen griff die Hisbollah eine israelische Stellung an und tötete mindestens zwei Soldaten. Kurz darauf beschoss Israels Militär Stellungen der Hisbollah; mindestens vier Kämpfer der Organisation kamen ums Leben. Beim Feuer der israelischen Armee starb offenbar auch ein spanischer Angehöriger der UNO-Truppen in Südlibanon.
Wer Israel an der Nordgrenze herausfordere, solle sich vorher anschauen, was im vergangenen Sommer im Gaza-Streifen passiert sei, sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Mittwoch. »Die Hamas hat die schwersten Verluste seit ihrer Gründung einstecken müssen.« Bereits am Tag zuvor hatte er an der israelischen Holocaust-Gedenkstätte erklärt, seine Aufgabe als Regierungschef liege darin, Israel vor Bedrohungen zu beschützen: »Ich werde dafür sorgen, dass wir keinen weiteren Ort wie diesen schaffen müssen.«
Doch hinter den Kulissen ist die Vorgehensweise der israelischen Regierung sehr umstritten. Ungewöhnlich offen wendet sich vor allem der Auslandsgeheimdienst Mossad gegen die Entscheidungsträger in der Regierung, widerspricht der Darstellung der Regierung, man habe nicht gewusst, dass sich ein iranischer General in der Hisbollah-Stellung befinde. »Wir haben sehr wohl gewusst, wer vor Ort ist, und wir haben vor den möglichen Konsequenzen gewarnt«, sagt ein Mossad-Mitarbeiter.
Netanjahu habe im Hinblick auf den seit Jahren diskutierten möglichen Militärschlag gegen Irans Atomprogramm »die Wassertemperatur messen wollen«. Deutlicher wird Jitzhak Herzog, einer der beiden Spitzenkandidaten des israelischen Links/Zentrum-Bündnisses: In Zeiten wie diesen seien Diplomatie und Besonnenheit nötig. Netanjahu habe außerdem mit einem Grundsatz gebrochen, indem er die Führer der Opposition nicht informiert habe.
In Teheran sagt ein Sprecher der Revolutionsgarden, zu denen der getötete General gehörte, man werde Israel »harte, schmerzhafte Schläge verpassen«: »Wir werden das zionistische Geschwür zerstören.« In Netanjahus Umfeld ist man sicher, dass dies nur die übliche Rhetorik ist: »So etwas haben wir schon tausend Mal gehört.« Die Aussagen des Sprechers von Irans Außenministerium scheinen dies zu bestätigen. Iran habe kein Interesse an einer Konfrontation, man führt sogar gemeinsame Interessen ins Feld. »Unser Hauptziel in der Region ist die Bekämpfung von radikalen Gruppierungen wie dem Islamischen Staat und der Nusra-Front«, sagt Sprecherin Marzieh Afkhamer. Der getötete General sei nicht an der Planung von Angriffen gegen »Dritte« beteiligt gewesen.
Eine Einschätzung, die der Mossad zu teilen scheint. Dort mahnt man an, die Regierung müsse sich endlich entscheiden, ob sie ein stabiles Syrien mit einer starken Regierung oder ein Nachbarland wolle, in dem viele, teils sehr radikale Gruppierungen Angriffe gegen Israel planen.
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