NATO-Speerspitze im »Bayerischen Hof«
Konferenz steht ganz im Zeichen der aktuellen Krisen
Neben dem »Chaos im Mittleren und Nahen Osten« (SIKO-Chef Wolfgang Ischinger) gehörte die NATO-Strategie mit Blick auf die Ukraine-Krise und den wiederentdeckten Lieblingsfeind Russland ohnehin zu den Hauptthemen der 51. Auflage der sogenannten Münchener Sicherheitskonferenz, zu der im Hotel »Bayerischer Hof« etwa 20 Staats- und Regierungschefs sowie rund 70 Außen- und Verteidigungsminister erwartet werden. Mit ihren Beschlüssen vom Donnerstag haben die NATO-Verteidigungsminister nun für eine zusätzliche Schärfung der Agenda gesorgt.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg verkündete in Brüssel, dass die Allianz angesichts der angespannten Sicherheitslage eine deutliche Verstärkung ihrer Eingreiftruppe für weltweite Einsätze (NRF) plane. Diese sogenannte Speerspitze solle Präsident Wladimir Putin in Moskau demonstrieren, dass die NATO ihre osteuropäischen Mitglieder nicht im Stich lassen werde.
Die aus Land-, Luft-, See- und Spezialkräften bestehende Truppe wird künftig rund 30 000 Soldaten umfassen. Bisher zählt ihr Kern etwa 13 000 Soldaten; dazu kommen Kommandoeinheiten und eine Unterstützungsreserve. Nun will man besonders schnelle Verbände (Very High Readiness Joint Task Force) mit rund 5000 Soldaten aufstellen, die innerhalb weniger Tage in Konfliktregionen geschickt werden können. Gleichzeitig werden ständige NATO-Basen mit Führungs- und Logistikexperten in sechs osteuropäischen Staaten eingerichtet, die die NRF-Kräfte im Ernstfall aufnehmen. Die Stützpunkte werden in den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie in Polen, Rumänien und Bulgarien entstehen, also nahe an den Grenzen Russlands.
Diese Speerspitze des Nordatlantik-Pakts soll ab 2016 voll einsatzfähig sein; noch in diesem Jahr wird das neue Konzept getestet. Die Allianz werde damit »flexibler, schneller und reaktionskräftiger«, lobte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen die neue Eingreiftruppe als »ein Zeichen der Geschlossenheit und der Entschlossenheit« des Bündnisses. Bei ihrem Aufbau soll die Bundeswehr eine Schlüsselrolle übernehmen.
Berlin hat der NATO schon für die Testphase rund 2700 Soldaten zugesagt. Zu dem Panzergrenadierbataillon 371 aus Marienberg (Sachsen) und dem Deutsch-Niederländischen Korps aus Münster kämen damit in diesem Jahr rund 1000 weitere Soldaten etwa aus dem Bereich Luftwaffe oder der Marine, wie aus dem NATO-Hauptquartier zu hören ist.
Nicht nur in Moskau stößt dieser Kurs auf Kritik. »Die Bundesregierung drängelt sich in dem Konflikt nach vorn, um in Europa auch militärisch als Großmacht dazustehen«, kommentiert Christine Buchholz, verteidigungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Das werde auch den Steuerzahler hierzulande teuer zu stehen kommen. Denn wenn die NATO-Forderungen nach Erhöhung des Militäretats umgesetzt werden, würde das den deutschen Staatshaushalt zusätzlich mit 20 Milliarden Euro belasten. Da der Bundestag Einsätze absegnen müsste, ein normales Parlamentsverfahren die gewollte schnelle Stationierung der Truppe aber verzögern könnte, denkt man in Berlin zudem darüber nach, ob die Abgeordneten im Fall der Fälle in einem Eilverfahren zustimmen könnten.
Ist das eher Zündstoff für die zivilgesellschaftlichen Gegenveranstaltungen in München, dürften andere Probleme auch die Konferenzteilnehmer im »Bayerischen Hof« spalten. Etwa die Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine - zumal auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow zu den Diskutanten am Wochenende gehört. Während sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und USA-Außenminister Joe Biden, die in München ein Dreiertreffen mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko planen, noch gegen eine Aufrüstung Kiews aussprechen, will ausgerechnet der zeitweilige Ukraine-Vermittler im Auftrag der OSZE und SIKO-Chef Ischinger mit Waffenlieferungen den Druck auf Russland erhöhen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.