Tsipras: Das Sparprogramm ist abgeschafft
Übergangsplan der SYRIZA-geführten Koalition soll Not eines großen Teils der Bevölkerung lindern / Ministerpräsident will von Bundesrepublik Wiedergutmachung für Zweiten Weltkrieg
Update 21 Uhr: Alexis Tsipras hat seinen Landsleuten bei seiner programmatischen Rede vor dem Parlament in Athen tiefgreifende Reformen, mehr soziale Gerechtigkeit sowie einen harten Kampf gegen Korruption und Steuerflucht angekündigt. Vordringlich sei es, den Schwächsten im Lande beizustehen. »Unsere erste Priorität ist es gleich ab Mittwoch, die humanitäre Krise im Lande zu bewältigen«, sagte er. Tsipras stellte klar, dass weder das Rentenalter erhöht noch Pensionen gekürzt würden. Gleichzeitig hielt er an seiner Ankündigung fest, den Mindestlohn von derzeit 580 Euro bis zum kommenden Jahr auf 750 Euro monatlich anzuheben.
»Das bisherige Sparprogramm wurde durch seine eigenen katastrophalen Ergebnisse und das Urteil des Volkes am 25. Januar abgeschafft«, sagte Tsipras mit Blick auf den Ausgang der Wahlen. Deshalb wolle die neue Regierung bis zum Sommer das Programm zur Bewältigung der griechischen Schuldenkrise insgesamt neu aushandeln. Die Mittel für zusätzliche Ausgaben will die Regierung an anderer Stelle einsparen, beispielsweise durch Abschaffung von Dienstwagen sowie anderer Vergünstigungen für Staatsdiener. Zugleich soll es ein Wachstumsprogramm für die Wirtschaft geben. Der Privatisierung von Versorgungsbetrieben, Teilen der Infrastruktur und Bodenschätzen erteilte Tsipras eine Absage.
Als Symbol für seine Abkehr von der Sparpolitik seiner Vorgängerregierung kündigte Tsipras eine Wiedereröffnung des öffentlichen Fernsehsenders ERT an. Die Entscheidung der konservativen Vorgängerregierung, den Sender aus Gründen der Kostenersparnis zu schließen, hatte damals eine Welle der Empörung ausgelöst. Mit der erneuten Inbetriebnahme von ERT werde »ein Verbrechen gegen das griechische Volk und die Demokratie« wiedergutgemacht, sagte der neue Regierungschef.
Zum Ende seiner Rede ging Tsipras auf ein Deutschland betreffendes Wahlversprechen ein. Seine Regierung werde von der Bundesrepublik Wiedergutmachung für Zerstörungen während des Zweiten Weltkrieges sowie die Rückzahlung eines Zwangskredits fordern, der Griechenland für die Besatzungskosten abgenötigt worden war. Berlin hat wiederholt signalisiert, dass die Reparationsfrage für Deutschland erledigt sei. Athen habe die »moralische Verantwortung unserem Volk gegenüber, gegenüber der Geschichte und allen Völkern Europas«, die gegen die Nazis gekämpft hätten, das Geld einzufordern, sagte er.
Update 20.10 Uhr: Bei seiner Rede vor dem Parlament in Athen zeigte sich Ministerpräsident Tsipras entschlossen, der Zügellosigkeit ein Ende zu setzen, mit der Unternehmer in Griechenland bisher die extreme Ausbeutung der Beschäftigten möglich war. Tsprias erklärte weiterhin, Staatsausgaben und Vergünstigungen zu kürzen. Der Mindestlohn werde hingegen schrittweise angehoben. Der Slogan der SYRIZA-geführten Regierung laute »Demokratie überall«. Tsipras kündigte an, es solle ein neuer Sozialversicherungsfonds geschaffen werden, das Rentensystem will SYRIZA mit Einnahmen aus den natürlichen Ressourcen des Landes finanzieren.
Update 20 Uhr: Regierungschef Alexis Tsipras hat die umfangreichste Reform der griechischen Institutionen in der Geschichte des Landes angekündigt. Das Ziel sei es, die Steuerungerechtigkeit zu überwinden. Auch sagte Tsipras, man werde der Korruption den Krieg erklären. Eine spezielle Arbeitsgruppe beim Finanzministerium soll Listen mit den Namen großer Steuerhinterzieher überprüfen und dagegen tätig werden.
Update 19.50 Uhr: Bei seiner mit Spannung erwarteten programmatischen Rede hat der neue griechische Regierungschef Alexis Tsipras an der Umsetzung der Wahlversprechen auch gegen den Widerstand vor allem deutscher Politiker festgehalten. Dies sei eine Frage der »Ehre und des Respekts«, sagte der Linkspartei-Politiker am Sonntagabend im Parlament in Athen. Gleichzeitig kündigte er an, sein Land wolle seine Schulden begleichen. Er lade alle »Partner« dazu ein, am Verhandlungstisch darüber zu beraten, wie sich dies umsetzen lasse. Erneut lehnte Tsipras eine Verlängerung des derzeitigen Hilfsprogramms ab. Sein Land brauche stattdessen ein »Überbrückungsprogramm«, um Zeit für eine neue Lösung zu gewinnen. Gleichzeitig kündigte er die Wiedereröffnung des staatlichen Fernsehsenders ERT an.
Update 18.20 Uhr: Mit einem Übergangsplan bis Ende Juni und einem Reformpaket für die kommenden Jahre will die neue SYRIZA-geführte Regierung in griechenlandeine Wende im Schuldenstreit herbeiführen. Ministerpräsident Alexis Tsipras werde am Sonntagabend im Parlament ein Maßnahmenbündel für mehr Steuergerechtigkeit, gegen Korruption und für eine effiziente Verwaltung vorstellen, kündigte ein Regierungsvertreter an. Die Finanzminister der Euro-Staaten beraten am Mittwoch in einer Brüsseler Sondersitzung über Griechenland.
Bevor Tsipras, der Vorsitzende der Linkspartei SYRIZA, die Eckpunkte seines Programms vorstellte, gab ein Regierungsvertreter Einblick in die Pläne. Der Übergangsplan soll demnach zunächst durch dringende soziale Maßnahmen die Not eines großen Teils der Bevölkerung lindern und der »humanitären Krise« vorbeugen, sagte er. Diese sei durch die harte Kürzungspolitik der vergangenen Jahre verursacht wurde.
Die Bevölkerung habe durch die Parlamentswahl vor zwei Wochen, der Regierung den Auftrag erteilt, die Wirtschaft wieder anzukurbeln und durch die Bekämpfung von Steuerflucht, Vetternwirtschaft und Bestechung für mehr Staatseinnahmen zu sorgen, sagte der Regierungsvertreter weiter. Mit dem Regierungsprogramm sollten dem hoch verschuldeten Griechenland bis zum Sommer Liquiditätsprobleme erspart bleiben. Ein Hilfsprogramm der Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und EU läuft Ende Februar aus.
Entsprechend den von SYRIZA vor der Wahl abgegebenen Versprechen wolle die Regierung »der von der Geber-Troika auferlegten Austeritätspolitik ein Ende setzen«, sagte Regierungssprecher Gavriil Sakellaridis der griechischen Sonntagszeitung »Real News«. Das Hilfsprogramm von 2010 fortzusetzen, das »in eine Sackgasse geführt« habe, ergebe »überhaupt keinen Sinn«. Notwendig sei bis Ende Juni eine Überbrückungsfinanzierung, um ohne »Druck und Erpressung« mit den europäischen Partnern über eine neue Vereinbarung verhandeln zu können.
Update 15.10 Uhr: Der neue griechische Regierungschef Alexis Tsipras wird an diesem Montag in Wien erwartet. Mit dem österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann bespreche er die aktuelle Situation Griechenlands, teilte das Kanzleramt am Samstag in Wien mit. Bei dem eintägigen Besuch solle zudem das »Wirtschafts- und Sozialmodell« Österreichs besprochen werden. Auch das Thema Jugendarbeitslosigkeit stehe auf der Agenda, hieß es.
Die rot-schwarze Regierung der Alpenrepublik hatte sich in der Vergangenheit zurückhaltend gegenüber Griechenlands Wünschen nach Erleichterungen beim Schuldendienst geäußert. Einen Schuldenschnitt für das Land hatte Faymann zuletzt abgelehnt. Vor den Parlamentswahlen in Griechenland hatte Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling davor gewarnt, vorschnell über einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone zu diskutieren.
Kipping: Spardiktat befeuert rassistische Krisenlösungen
Update 13.30 Uhr: Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, hat die Anstrengungen der SYRIZA-geführten Regierung in Griechenland unterstützt. Eine Überwindung der Korruption, des Klientelismus und der Steuerhinterziehung sei »nur durch eine Demokratisierung des Staates« möglich, wie sie die Linkspartei vorhabe, nicht aber »durch autoritäre Spardiktate«. Kipping kritisierte zudem die Stimmungsmache gegen die neue griechische Regierung. Erstens habe Deutschland nicht »die Griechen« gerettet, sondern »vor allem die Banken und Superreichen subventioniert«. Auch gehe es SYRIZA »gar nicht um einen kompletten Schuldenschnitt. Es soll vielmehr eine Schuldenkonferenz für ganz Südeuropa geben, auf der beraten wird, was sinnvoll ist. Wenn man nicht will, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für die Profite der Banken haften, müsste man die Profiteure der Krise zur Kasse bitten«, so die Linkenvorsitzende. Die Sparpolitik habe Europa »an den Rand des Scheiterns gebracht, zahlreiche Menschen in die Verzweiflung getrieben und den Boden für rassistische und nationalistische Krisenlösungen bereitet«. Mit dem Aufstieg linker Parteien wie SYRIZA aber auch in Spanien von Podemos sei »endlich wieder eine dritte Zukunftsoption jenseits von technokratischem Krisenregime und nationalistischer Europakritik auf die politische Bühne zurückgekehrt«.
Grundsatzrede des Ministerpräsidenten im Parlament erwartet
Berlin. Zwei Wochen nach seinem Wahlsieg hält der neue griechische Ministerpräsident Tsipras am Sonntagabend eine Grundsatzrede im Parlament. Darin will er die Eckpunkte seiner Politik in der anstehenden Legislaturperiode darlegen. Der Regierungschef von der Linkspartei SYRIZA werde unter anderem einen Plan zur Erhöhung der Steuereinnahmen verkünden, hieß es. Damit sollen dem hoch verschuldeten Griechenland bis zum Sommer Liquiditätsprobleme erspart bleiben.
SYRIZA-Ökonom: Verfolgen Programm für die 99 Prozent ++ Zypern: Stehen an der Seite von Athen ++ Wirtschaftsexperten gegen »Erpressung« von SYRIZA ++ Mehrheit in Deutschland mit Merkel gegen Schuldenschnitt ++ Ratingagenturen machen wieder Politik ++ Der Samstag im Newsblog zum Nachlesen
Der Übergangsplan solle zunächst die Not eines großen Teils der Bevölkerung lindern, die durch die Sparpolitik der vergangenen Jahre verursacht worden sei, sagte der Regierungsvertreter. »Die Bevölkerung hat mit ihrer Wahl die Regierung beauftragt, die Wirtschaft wieder anzukurbeln sowie einen Reformplan zugunsten gerechterer Steuern, gegen Steuerflucht und Korruption sowie für eine effizientere Verwaltung zu entwickeln«, sagte er weiter.
Zahlungen der Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und EU, die mit drastischen Spardikatten verbunden sind, laufen Ende Februar aus. Die Finanzminister der 19 Euro-Staaten beraten am Mittwoch in Brüssel in einer Sondersitzung über Griechenland. Der Vorsitzende der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem, hat bis zum 16. Februar Klarheit über Griechenlands künftige Finanzpolitik gefordert. »Wir brauchen bis zum 16. Februar einen Zeitrahmen für das weitere Vorgehen. Ich würde das nicht als Ultimatum bezeichnen«, sagte eine Sprecherin des niederländischen Finanzministers
Vor entscheidenden Gesprächen mit den anderen Eurostaaten über eine Lösung des Schuldenstreits hat die SYRIZA-geführte Regierung am Samstag über ihre weitere Strategie beraten. Im Mittelpunkt der rund dreistündigen Beratungen des Kabinetts standen nach Angaben eines Regierungsvertreters ein »Übergangsplan« bis Ende Juni sowie ein Reformpaket für die kommenden drei Jahre.
Am Samstag hatte der Ökonom und Wirtschaftsberater von SYRIZA, Jannis Miliòs, erklärt, er glaube nicht, dass die Europäische Zentralbank ihren harten Kurs gegenüber Griechenland so lange fortführt, dass ein Ausstieg aus dem Euro drohen könnte. »Das kann und wird die EZB nicht tun. Wenn ein Land die Währungsunion verlassen muss, zerfällt die Währungsunion, egal wie klein das Land ist«, sagte er dem »Handelsblatt«. Man sei »aufeinander angewiesen. Wir sind keine Gegner sondern Partner.« Zudem erklärte er dem Interviewer zu den aktuellen Zielen der Linkspartei, »unser Programm hat nichts Klassenkämpferisches oder Antikapitalistisches. Es ist ein Programm für die ganz große Mehrheit der Griechen, für die 99 Prozent. Es geht darum, die Demokratie wiederherzustellen und wieder soziale Kohäsion zu erreichen.«
Tsipras Regierung forderte am Freitag von den europäischen Partnern eine Überbrückungsfinanzierung, um ohne »Druck und Epressung« über einen neuen Deal verhandeln zu können. Das aktuelle Hilfsprogramm läuft nur noch bis Ende Februar, die neue Regierung in Athen lehnt die darin enthaltenen Spar- und Reformauflagen aber ab. Bei ihren Reisen nach Rom, Paris, Brüssel und Frankfurt stießen die Vorschläge von Tsipras und seinem Finanzminister Giannis Varoufakis weitgehend auf Ablehnung, und auch Eurogruppen-Chef Dijsselbloem schloss am Freitag einen Überbrückungskredit aus.
Die zyprische Regierung will sich beim außerordentlichen Treffen der Eurogruppe am kommenden Mittwoch (11. Februar) und beim EU-Gipfel einen Tag später an die Seite Athens stellen. Finanzminister Charis Georgiades und Regierungssprecher Nikos Chrsitodoulides sagten am Samstag, Präsident Nikos Anastasiades werde beim EU-Gipfel am Donnerstag den griechischen Standpunkt unterstützen, dass Europa eine Politik für mehr Wachstum brauche.
Mit der Forderung, die Entscheidung der Wähler in Griechenland zu respektieren und Verhandlungen über eine Alternative zur gegenwärtigen Krisenpolitik nicht zu blockieren, hatten sich namhafte Wirtschaftswissenschaftler aus ganz Europa und Nordamerika an die Regierungen in der EU gewandt. Griechenland brauche umgehend humanitäre Unterstützung, die Menschen seien auf einen höheren Mindestlohn und neue Arbeitsplätze angewiesen, dazu seien Investitionen in Bildung und Gesundheitsvorsorge dringend nötig, heißt es in dem unter anderem von Elmar Altvater, Trevor Evans, James Galbraith, Bob Jessop und Dorothee Bohle unterzeichneten Appell. Agenturen/nd
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