Sisis Feldzug auf dem Sinai
Ägyptens Präsident stimmt seine Landsleute auf Krieg im eigenen Territorium ein
Seit der ehemalige General Abdel Fattah al-Sisi den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi gestürzt hat, häufen sich Terroranschläge in Ägypten. Allein am Sonntag explodierten in der Hauptstadt Kairo fünf Bomben. Sie waren in der Nähe einer Schule, eines Restaurants der Kette »Kentucky Fried Chicken« und einer Bankfiliale im Stadtteil Helwan platziert, wie die Staatszeitung »Al-Ahram« online meldete. Dabei seien mindestens zwei Menschen verletzt worden. Bereits Ende vergangener Woche war ein »Kentucky«-Restaurant in Kairo attackiert worden.
Der Schwerpunkt der Anschläge des Islamischen Staats (IS) liegt indes auf der Sinai-Halbinsel. Im Dreiländereck von Gaza-Streifen, Israel und Ägypten holt die Armee inzwischen zum Gegenschlag aus. Über Stunden hinweg bombardierte Ägyptens Militär jüngst einen Stadtteil des Grenzortes Rafah, nur wenige hundert Meter von der Grenze entfernt.
Kairo, Jerusalem, Tel Aviv, Washington versanken derweil in ein tiefes, andauerndes Schweigen: »Kein Kommentar«, »Dazu kann ich nichts sagen«, waren die einzigen Reaktionen. Und das, obwohl nie zuvor seit dem Jom-Kippur-Krieg 1973 so viele ägyptische Soldaten mit solch schweren Waffen so nah an der Grenze zu Israel aktiv gewesen sind; längst hat die ägyptische Militärpräsenz das im Friedensvertrag von Camp David festgelegte Maß um ein Vielfaches überschritten. Ägyptens Militär führt bereits seit eineinhalb Jahren einen weitgehend unbeachteten Krieg auf der Halbinsel Sinai - mit Billigung durch Israels Regierung.
Mit dem IS ist ein Feind entstanden, der so viel mehr Sorgen bereitet als ägyptische Panzer an der Grenze und Kampfflugzeuge über Rafah: »Wilajat Sinai« (Provinz Sinai), eine erst im Oktober aus der Organisation Ansar Bait al-Makdis hervorgegangene Gruppierung, die sich zum Islamischen Staat bekennt; beide werden für eine Vielzahl von Anschlägen auf ägyptische Militäreinrichtungen und Übergriffe auf die örtliche Bevölkerung verantwortlich gemacht.
Auch im Gaza-Streifen ist die Gruppe aktiv: Im Oktober und Dezember wurden vor dem französischen Kulturzentrum in Gaza Sprengsätze gezündet; außerdem wurden nahezu zeitgleich Funktionäre der Fatah-Fraktion von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas angegriffen; eine Gruppe namens »Islamischer Staat in Gaza« übernahm die Verantwortung und schloss sich kurz darauf dem »Wilajat Sinai« an.
Die Hamas erklärte damals, die Bekennerschreiben im Internet seien »reines Facebook-Geschwätz«. Doch ein hochrangiger Hamas-Funktionär sprach es hinter vorgehaltener Hand schon damals deutlich aus: »Der Islamische Staat ist hier und wir können kaum etwas dagegen tun. Wir versuchen, durch unser Schweigen nicht selbst zum Ziel zu werden und die Lage einigermaßen unter Kontrolle zu halten.« Die Regierung in Ramallah ist dazu kaum in der Lage, wie ein Mitarbeiter von Abbas eingesteht: »Wir haben keinerlei Expertise mehr vor Ort, und die Leute, die sie haben, können wir nicht beschäftigen, weil sie zur Hamas gehören.«
Was allerorten aufgeschreckt hat, sind sowohl Organisationsgrad als auch Ausrüstung dieser bis vor Kurzem noch weitgehend unbekannten Gruppe: Man verübt zeitgleich Anschläge und agiert dabei weitgehend im Verborgenen. Der Chef von Israels Geheimdienst Mossad mahnte vor zwei Wochen in einem Knesset-Ausschuss, man wisse so gut wie nichts über diese Gruppe, müsse sie »extrem ernst« nehmen. Und in Kairo sagen Militärs, viele der auf dem Sinai, einer unwegsamen Wüstenregion, Aktiven seien Rückkehrer, die zuvor in Irak und Syrien gekämpft hätten und nun das dort erlangte Wissen einbrächten.
Der sichtbare Teil von »Wilajat Sinai« lässt zudem eine recht erhebliche Zahl an extrem gewaltbereiten Unterstützern sowohl in Gaza als auch auf dem Sinai erkennen. So wurde in den vergangenen Tagen in sozialen Netzwerken die Ermordung des jordanischen Piloten regelrecht glorifiziert; es sei notwendig gewesen, ein Signal zu setzen, heißt es dort immer wieder - so als müsse man jeden Zweifel im Keim ersticken, werden Bilder von getöteten Kindern und zerstörten Häusern gepostet.
Die vielfach geäußerte Hoffnung, die grausame Tötung des jordanischen Kampfpiloten möge die Menschen vom Islamischen Staat distanzieren, hat sich zumindest in diesem Teil der Welt nicht erfüllt.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.