Arbeiter, tritt die Murmel

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 2 Min.

Letzten Dienstag war ich nicht bei der Buchvorstellung meines langjährigen Kumpels Christian Wolter, denn ich musste zur Schicht. Schade, denn nachdem der Stadionhistoriker 2011 mit seinem Sachbuch über die Berliner Stadien, »Rasen der Leidenschaften«, positiv auffiel, legte er dieser Tage nach: »Arbeiterfußball in Berlin und Brandenburg 1910 - 1933«.

Dieser große Baustein des deutschen Fußballmonumentes wird selten erwähnt, obwohl damals hunderte Vereine, die heute dem DFB angehören, im Arbeiterturnerbund (ATB) verankert waren, dem ersten proletarischen Körperkulturverband der Welt. Vereinsnamen, die die Zeiten überdauerten, lauten: Sparta Lichtenberg, SpVgg Bayreuth und VfB Lübeck. Dem ATB gehörten einst tausende Vereine an. Der größte und bedeutendste war der Turnverein Fichte, benannt nach dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte, der von 1762 bis 1814 lebte. Dieser Turnverein wurde im Berliner Bezirk Friedrichshain unter einer Eiche gegründet und fand in aller Herren Bezirke seine gleichnamigen Ableger, die mittels römischer Zahlen durchnummeriert worden waren und im Sportbetrieb sehr erfolgreich mitmischten.

Der Zulauf der Arbeiter zum TV Fichte und zu vielen anderen Vereinen war auch auf die rasant wachsende Beliebtheit des Fußballspielens zurückzuführen. Denn schon in den Kindertagen dieser Sportart war man bestrebt, unter Wettbewerbsbedingungen dem »archaischen Hammeltreiben« nachzugehen. Der erste Berliner Meister des Arbeiterfußballs war 1911 die Freie Turnerschaft Charlottenburg. Dem traditionellen Turnen hafteten dagegen der Mief der Hallen und zu viele militärische Vorgaben an. Im Buch finden sich viele Namen und Zahlen sowie historische Fotos und Ankündigungszettel.

Ein besonders schwieriges Unterfangen dürfte das Auffinden von Zeitzeugen gewesen sein. Der ehemalige Fichte-Sportler Erwin Schulze aus Tempelhof berichtete von den sportlichen und politischen Umbrüchen, von der Solidarität und vom Klassenbewusstsein in den Arbeitersportvereinen, welche es dort stärker als im eher bürgerlichen DFB gegeben habe. Er berichtete von der Zerschlagung der Bewegung durch die Nazis und seinen Jahren im Zuchthaus. Erwin Schulze starb im September 2012, einen Monat vor seinem 100. Geburtstag.

In diesem Standardwerk findet sich eine Auflistung von Spielern, die aus dem Arbeiterfußball kamen und später zu Nationalspielern im DFV der DDR oder im DFB wurden. Im statistischen Anhang findet man Angaben über die drei Tourneen in die UdSSR, zwischen 1930 und 1932, sowie ein Register der Vereine aus Berlin und Brandenburg.

Wie schon verraten, ich war nicht bei der Buchvorstellung, doch ich gehe heute zum Knaller der Berlin-Liga, Tennis Borussia gegen Staaken City, und beobachte Christian, wie er einige Exemplare seines Werkes vertickt.

Christian Wolter: Arbeiterfußball in Berlin und Brandenburg 1910 - 1933. Arete Verlag, 232 S., 19,95 €.

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