Unkrautbekämpfung im Sitzen
Der sächsische LINKE Falk Neubert trägt eine Dresdner Blockade nach Karlsruhe.
Im Juni 2014 jätete Falk Neubert einmal Unkraut. Der Politiker hockte sich in die Gemüsebeete einer sozialtherapeutischen Wohnstätte im mittelsächsischen Seifersbach und ging gemeinsam mit den Bewohnern - psychisch Kranken, die Hilfe im Alltag benötigen, den Garten aber selbst in Schuss halten - gegen Wildwuchs im Nutzgarten vor.
Zum Gärtner wurde Neubert dank der alljährlichen Aktion »Perspektivwechsel«, zu der Politiker von Wohlfahrtsverbänden eingeladen werden. Der Kampf gegen Unkraut ist dem 41-Jährigen aber gewissermaßen auch aus seinem politischen Leben vertraut - er führt ihn nur auf einem anderen Feld als dem Gemüseacker: Er ist Anmelder einer Veranstaltung, die im fünften Jahr gegen geistigen Wildwuchs rund um das Gedenken am 13. Februar in Dresden kämpft. Die Rede ist vom »Mahngang Täterspuren«, mit dem daran erinnert werden soll, dass die im Februar 1945 von Bomben verheerte Stadt - anders als oft kolportiert - keineswegs eine »unschuldig« zerstörte, nur der Kultur hingegebene Metropole war. Beim Mahngang wird vielmehr klar, dass es sich um einen Ort handelte, an dem Militärgerät produziert wurde, wo man Zwangsarbeiter ausbeutete und die Strukturen des NS-Staats teils sogar früher etablierte als in anderen deutschen Städten. Gestern wurde etwa daran erinnert, dass es im Dezember 1933 in der mit Hakenkreuzfahnen ausstaffierten Frauenkirche eine Feier gab mit der Losung »Mit Luther und Hitler für Volkstum und Glauben«.
Neubert trägt die historischen Fakten nicht selbst zusammen; sein Metier ist nicht die Geschichts-, sondern die Kommunikationswissenschaft. Im Jahr 2008 schloss er ein Studium an der TU Dresden mit einer Magisterarbeit über die »Bedeutung informeller Kommunikation für die Nachrichtengenerierung« ab. Ursprünglich hatte sich der gebürtige Dresdner im Schwarzwald zum Koch ausbilden lassen. Schon ab 1994 drängte er aber in die Politik. Er gründete die PDS-Jugend in Sachsen mit, wurde Mitarbeiter eines Landtagsabgeordneten und errang 1999 selbst ein Mandat. Heute gehört er dem Landtag in der vierten Wahlperiode an.
Seine Zuständigkeit als Fachpolitiker hat seither gewechselt: Neubert war einst für Kinder- und Jugendpolitik zuständig, inzwischen ist er Medienexperte der LINKEN. Er sitzt im Rundfunkrat des MDR und in der Jury des Geraer Kinderfilmfests »Goldener Spatz«. Zu den Konstanten in seinem politischen Alltag zählt indes das Engagement gegen Nazis. Es lag deshalb nahe, dass ihn das Bündnis »Dresden nazifrei« als Anmelder für den »Mahngang« gewann - eine Veranstaltung, die mittlerweile auch von der Oberbürgermeisterin respektiert wird. Die Erstauflage am 13. Februar 2011 hatte die Stadt noch verboten.
Der Vorfall, mit dem Neubert bundesweit in die Schlagzeilen kam, trug sich sechs Tage später zu; er ist auf einem Foto festgehalten. Zu sehen ist, wie er gemeinsam mit Abgeordnetenkollegen, darunter Sachsens heutigem Vizeregierungschef Martin Dulig (SPD), auf einer Kreuzung sitzt. Über die hätten an jenem Tag Nazis marschieren wollen - bei einem der »Trauermärsche«, mit denen sie seit Ende der 90er Jahre das Gedenken an die Toten der Bombardierung vereinnahmten. Zeitweise handelte es sich um den größten derartigen Aufmarsch in Europa. Vertreten wurden krude Thesen wie die vom »Bomben-Holocaust« - geistiges Unkraut der ganz üblen Sorte. Neubert gehörte zu jenen, die es bekämpften - im Sitzen.
Mit den Folgen hat er bis heute zu ringen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte, weil eine genehmigte Demo unzulässig behindert wurde, und beantragte einen Strafbefehl. Viele ähnliche Verfahren stellte sie gegen Zahlung einer Geldauflage ein. Neubert aber ließ es in Abstimmung mit Fraktionskollegen auf einen Prozess ankommen. Bis der begann, verging viel Zeit. Im Mai 2014 wurde er dann vom Amtsgericht als »grober Störer« verurteilt und zu 1500 Euro Geldbuße verurteilt. Die Revision wurde abgelehnt. Diese Woche gab Neubert nun bekannt, dass er die Verfassungsgerichte in Leipzig und Karlsruhe anruft. Das Bundesgericht wird aber wohl nicht vor 2016 entscheiden - über fünf Jahre nach der Blockade.
Dass ihn die Angelegenheit derart lange verfolgt - »das nervt«, sagt er. Gleichzeitig räumt der Politiker ein, dass ihn das Verfahren nicht existenziell bedroht - anders etwa als den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König, dessen berufliche Zukunft auf dem Spiel stand. Auch der Verlust der parlamentarischen Immunität hat sich nicht als nachteilig erwiesen. Zudem finden seine Verhandlungen, anders als die von »gewöhnlichen« Blockierern, vor gefülltem Saal statt: »Ich bin in einer komfortablen Situation«, sagt er. Gerade deshalb sieht er sich verpflichtet, die Causa stellvertretend für Hunderte andere Demonstranten durchzufechten - in der Hoffnung, dass die von Sachsens Justiz verfolgte Linie der rigorosen Kriminalisierung des Protests gegen Nazis als Irrweg beurteilt wird.
Immerhin: Der Streit beschert dem Abgeordneten auch einige Bekanntheit; zu Debatten über legale und legitime Mittel im Kampf gegen Nazis lädt man ihn in Theater und Schulen ein. Gerade in Klassen aber stellt er auch fest, dass 2011 schon ewig her ist. »Die Welt hat sich seither weitergedreht«, sagt er. Zuletzt diskutierte er deshalb eher über Pegida. Unkraut wächst ja leider immer neu nach.
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