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Trotziger Arbeiterstolz

Martin Leidenfrost über eine vergessene kleine Revolution in einem fast vergessenen kleinen Land

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 4 Min.

Am 7. Februar 2014 begann in Tuzla die bosnische Winterrevolution. Ich war kurz darauf dort, wurde aber nur im Kreis herumgeschickt. Vor dem ausgebrannten Büroturm der gestürmten Kantonsregierung erklärte mir eine weißrussische TV-Reporterin: »Kiew, das ist ein Staatsstreich. Hier erhebt sich das Volk.« Ein halbes Jahr später schickte ich Anfragen ans »Bürgerplenum Tuzla«, an Gewerkschaften, an die solidarisch mitdemonstrierende Universität Tuzla. Keine Antwort. Ich fuhr dennoch wieder in die unfromm-muslimische Industriestadt. Fand das Gewerkschaftsbüro mit schwerer Kette verschlossen. Begann die Sache für gescheitert zu halten.

Nun komme ich zum dritten Mal. Nordbosnien empfängt mich mit dem Ostgeruch verfeuerter Braunkohle. Ich parke auf den Glassplittern vor der ausgebrannten Kantonsregierung, die wurden ein Jahr lang von niemand weggekehrt. Die meisten Graffiti sind unverändert: »Schluss mit der nationalen Trennung der bosnischen Bürger«, »Nationalisten hinter Gitter!«. Trotziger Facharbeiterstolz: Im Dreck liegt unlesbar das Transparent »Schützt die heimische Produktion!« Die radikal linken Parolen - »Weg mit der Diktatur des Kapitals!« - sind verschwunden oder von Kinderzeichnungen verdeckt. Ein Jugendlicher in Trainingshose läuft um den verlassenen Bau, trampelt wütend im Kreis, krümmt sich unter einer unsichtbaren Wucht und brüllt ins Telefon: »Du hörst mir nicht zu.«

Am Morgen fahre ich an den Ursprung des Hungeraufstands, zur Fabrik DITA. DITA steht still, ohne in Konkurs zu sein. Die Arbeiter sind offiziell in Beschäftigung, bekommen daher keine Arbeitslosenhilfe. Von den einst 700 Arbeitern sind zwei da. Der ältere Arbeiter und die ältere Arbeiterin führen mich in eine schäbige Kammer mit zwei Matratzen. Fließend Wasser haben sie nicht, die Heizung zahlt immerhin der Staat. Seit anderthalb Jahren halten sie Streikwache, der Dienstplan ist vergilbt. Die Arbeiterin erzählt: »Der Besitzer schuldet uns schon 50 Monatslöhne. Der hat Restaurants in Sarajevo, hier war er seit drei Jahren nicht.« Ich frage sie: »Wie können Sie leben?« Die ethnische Serbin weiß nichts zu sagen, macht Witze. »Wie kann dieser Staat leben?« - »Der hat den IWF.« - »Glauben Sie, dass Sie den Lohn jemals kriegen?« - »Sonst wäre ich nicht hier. Das Gericht hat für uns entschieden. Schreib unbedingt: Die Hoffnung stirbt zuletzt.«

Mit verhaltenem Stolz führen sie mich in die Produktion. Im Labor ein Schaukasten mit den von DITA einst herstellten Marken: Arix, Senzel, Onix, Aqua, ProWash, Di­tax, Lessive activée. Einst das führende »und beste« Waschpulver Jugoslawiens, es ging auch in den Export. Dazu Geschirrspülmittel wie »3de«, Shampoos. Verdorrte Topfpflanzen.

Inzwischen ist die »Vorsitzende des Streikkomitees« eingetroffen. Emina Busuladžić, ganz in Schwarz, 38 Jahre bei DITA, Anführerin der ersten Stunde. Ich frage sie, was die Bewegung erreicht hat. »Das wichtigste Resultat ist, dass es uns noch gibt. Wir hatten keine Gesundheitsversorgung, seit dem Februar haben wir die. Und wir sind nun gleichberechtigt in den Verhandlungen.«

Im Herbst hat sie für das Kantonsparlament kandidiert, für eine kleine kommunistische Partei. Die Anwesenden haben für »unsere Minka« gestimmt, sie wurde aber nicht gewählt. »Stimmenkauf für 30 Mark«, erklärt Minka, »und die Jungen sind allergisch auf die kommunistische Utopie.« Noch schlimmer: Ausgerechnet die bosniakischen Nationalisten gewannen im Kanton Tuzla die Wahl. Und noch weit schlimmer: Die Gewerkschaften - »offizielle«, »unabhängige«, »solidarische« - verachten einander, die Bürgerplena sind versandet, die Demos zum Jubiläum werden von ganz anderen Leuten organisiert.

Ich wünsche den DITA-Arbeitern Glück. Mit Minka fahre ich ins Zentrum, dort nimmt sie mich zur Seite: »Ich lebe normal, weil mein Mann Arbeit hat, aber die Kollegen von vorhin - die verkaufen ihren Kühlschrank und ihre Möbel, um was zu essen zu haben.« Sie verabschiedet sich. Ich höre mich ein drittes Mal in Tuzla um. Die Menschen sind mit guten Argumenten davon überzeugt, dass die Fabriken im EU-Protektorat Bosnien von Strohmännern der EU-Konkurrenz dichtgemacht werden. Später sehe ich Minka noch einmal im Gewühl des Zentrums, in ihrem grünen Lodenmantel. Die Führerin einer Revolution, die keine NGO, keine Lobby, keinen Oligarchen hinter sich hatte. Niemand beachtet sie.

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