Aus den Wahlstudios der Gleichgültigkeit
Die Bürgerschaftswahl war zu Ende und die Berichterstatter und Statistiker stürzten sich auf ihr Fressen. Strahlende Sieger und grauenhaft schlecht abgeschnittene Verlierer wurden durch die Studios gereicht, um ihren Senf abzudrücken. Alles wurde beleuchtet. Wählerwanderungen. Themenkomplexe. Wieso wählte der Hamburger keine Christsozialen mehr? Lag es wirklich an der Themenauswahl? Fehlten die richtigen Köpfe? Zu allem eine Meinung, eine Einsicht. Nichts wird dem Zufall überlassen. Nur eines verwaist: Die Wahlbeteiligung. Sie kommt als Randthema vor. Als Stiefkind. Keiner möchte sich darüber unterhalten. Von zehn Hamburgern waren mehr als vier nicht wählen. Aber es wurde mal wieder nicht zum Thema. Lieber noch ein Schwenk zur AfD und ein bisschen Sensation.
Seit Jahren geht das so. Nach jeder Landtags- oder Bürgerschaftswahl gibt es massig Berichterstattung; ARD und ZDF senden jeweils für sich dazu. Es soll so aussehen, als gäbe es viele Meinungen und viele Ansatzpunkte der Analyse in diesem Land. Diese doppelte Haushaltsführung leistet sich der Zuschauer von seinen Rundfunkbeitrag vielleicht nicht gerne. Aber er wird ja auch nicht gefragt. Trotz dieses Angebotes setzt keiner bei der Wahlzurückhaltung der Menschen an. Manchmal fragt ein mutiger Journalist, woran es gelegen haben könnte. Dann folgt eine Nebelkerze des befragten Politikers und der Journalist tut das, was heute Usus ist: Nicht nachfragen, nicht bohren.
Stell dir vor es ist Wahl und keiner geht hin. In diesem Land ist das normal. Im Nachgang von kommunalen Wahlen schreiben die Kommentarspalten gerne, man müsse gewissermaßen eine Wahlpflicht einführen. Als ob das die Lösung wäre! Erst sollte man doch fragen, was Leute dazu bewegt, sich nicht zu bewegen. Warum gehen sie sonntags nicht schnell Kreuzchen setzen? So lange dauert das doch nicht. Ist es Faulheit, die man mit Zwangsgesetzen in den Griff bekommen könnte? Oder ist es Resignation? Politikverdrossenheit, wie man das vor einigen Jahren gerne nannte? Fühlen sich ganze Bevölkerungsgruppen nicht mehr adäquat vertreten oder ist es nur das gemütliche Sofa, die warme Decke und die Wiederholung von »Der Bachelor«, die die Leute von der Wahlkabine fernhält? Oder dann doch der Filz, die Korruption, eine Politik der Begünstigung reicher Kreise und so weiter?
Alles kann an so einem Abend Thema sein. Was der oder jener Kandidat vor drei oder acht Wochen gesagt hat und welche Auswirkung das nun hatte. Diese Spekulation nennen sie dann Analyse. Und an Analysen gibt es keinen Zweifel. Aber wo all die Wähler hin sind, das kümmert kaum jemanden. Demokratie lebt als Ritual weiter. Nicht als gelebtes Prinzip.
Danach an einem Wahlabend zu fragen, noch bevor man jemanden ein Mikro unter die Nase hält und fragt »Na, wie fühlen Sie sich jetzt?«, wäre fast eine basisdemokratische Aufgabe, die anzugehen unabdingbar ist, will man das Vertrauen in demokratische Grundzüge wiederherstellen. Denn diese Partizipation ist das A und O – und so zu tun, als spiele es überhaupt keine Rolle mehr, ob der strahlende Gewinner des Wahlabends seine 46 Prozentpunkte aus der Summe aller Wahlberechtigten oder nur etwa der Hälfte von ihnen bestreitet, zeugt nicht gerade von einer Haltung, die demokratische Gesinnung verspricht.
Wenn Menschen nicht zur Wahl gehen, haben sie natürlich auch eine Wahl getroffen. Das muss man respektieren. Aber ignorieren sollte man das nicht. Wer das tut, der bastelt weiter am Leck-mich-am-Arsch-Gefühl jener Gesellschaftsgruppen, die sich sagen, dass ihr Votum ohnehin nutzlos sei. Ein Blick in die Wahlstudios nach dem Urnengang ist seit Jahren nicht Ausdruck demokratischer Grundstruktur – es zeigt nur, wie egal Parteien, Politikern und Medien die politische Partizipation eigentlich ist.
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