Separatisten wollen Gefangene austauschen
Mögliches Außenminister-Treffen Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine in Gespräch / Britisches Oberhaus wirft EU in Ukraine-Krise »Schlafwandeln« vor / Kiews-Bürgermeister Klitschko fordert weitere Sanktionen gegen Russland
Update 12.20 Uhr: Trotz Verstößen gegen die Waffenruhe im Donbass haben sich die Separatisten zu einem Gefangenenaustausch bereiterklärt. Nach der Niederlage der ukrainischen Truppen im Kampf um den Verkehrsknotenpunkt Debalzewo sollen zahlreiche Soldaten von den Aufständischen gefangen genommen worden sein. Der Austausch, der vergangene Woche im Minsker Friedensplan vereinbart worden war, könne an diesem Wochenende stattfinden, sagte Separatistensprecherin Darja Morosowa der Agentur Interfax am Freitag. Frühere Initiativen hatten sich nach solchen Ankündigungen immer wieder verzögert.
Die Konfliktparteien warfen sich erneut gegenseitige Angriffe vor. Im Krisengebiet habe es innerhalb von 24 Stunden rund 50 Verstöße gegen die Kampfpause gegeben, teilte die Militärführung in Kiew mit. Separatistenführer Eduard Bassurin drohte in der Nacht zum Freitag mit einem Ausstieg aus dem Minsker Abkommen, sollte die Armee das Feuer nicht einstellen. »Eine Offensive in Richtung Mariupol ist nicht geplant«, sagte er aber.
Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bestätigten, dass sie am Donnerstag mehrfache Artilleriesalven in der Separatistenhochburg Donezk gehört hätten. Beim Beschuss sei eine Frau getötet worden, teilte der Stadtrat mit.
Für eine weitere Deeskalation der Lage hatte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko eine internationale Friedensmission unter Führung der EU gefordert. »Eine solche Friedensmission setzt voraus, dass wir einen stabilen Waffenstillstand haben«, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Bislang gebe es jedoch »allenfalls einen fragilen Zustand«, meinte er. Möglicherweise findet zur Umsetzung des in Minsk vereinbarten Friedensplans kommende Woche ein Treffen der Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine statt.
Merkel und Hollande beraten Kurs in der Ukraine-Krise
Update 10.50 Uhr: Angesichts der brüchigen Waffenruhe in der Ukraine hat der Bürgermeister der Hauptstadt Kiew, Vitali Klitschko, schärfere Sanktionen des Westens gegen Russland und Waffenlieferungen an sein Land gefordert. Die Ukraine brauche »eine Antwort auf die andauernde russische Aggression - noch viel schärfere Sanktionen und die Lieferung von Defensivwaffen«, schrieb Klitschko in einem Gastbeitrag für die »Bild«-Zeitung vom Freitag. Ziel sei, dass Russlands Staatschef Wladimit Putin »klar erkennt, er kann so nicht weitermachen«.
Zum ersten Jahrestag der heftigen Straßenkämpfe auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz, bei denen mehr als hundert Menschen getötet worden waren, schrieb Klitschko: »Der heutige Jahrestag des Maidan sollte auch Europa an die Verantwortung für die Ukraine erinnern.« Der 20. Februar 2014 sei der »tragischste Tag der Maidan-Proteste und gleichzeitig die Befreiung von einem Diktator«, erklärte er mit Blick auf den gestürzten Staatschef Viktor Janukowitsch. Er »trauere um die vielen Opfer«, sei »aber gleichzeitig stolz« auf den Volksaufstand.
Am Freitag will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Paris mit dem französischen Präsidenten François Hollande über die Ukraine-Krise beraten. Beide hatten mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko die Minsker Vereinbarung vom 12. Februar ausgehandelt, die konkrete Maßnahmen für ein Ende des Konflikts in der Ostukraine vorsieht.
Dazu zählt neben einer Waffenruhe unter anderem auch der Abzug schwerer Waffen. Die seit Sonntag geltende Waffenruhe wurde bereits mehrmals gebrochen, die Rebellen brachten seitdem die Stadt Debalzewe vollständig unter ihre Kontrolle. Beiden Seiten werfen sich in dem Konflikt vor, sich nicht an die ausgehandelten Abmachungen zu halten- Berlin und Paris lehnen Waffenlieferungen an die Ukraine bislang ab, die USA erwägen einen solchen Schritt allerdings.
Britisches Oberhaus wirft EU in Ukraine-Krise »Schlafwandeln« vor
Der EU-Ausschuss des britischen Oberhauses hat der eigenen Regierung und der Europäischen Union in einem Bericht zum Ukraine-Konflikt einen naiven Umgang mit Russland vorgeworfen. Der Ausschuss sei zu dem Schluss gekommen, »dass die EU und damit auch Großbritannien in dieser Krise des Schlafwandelns schuldig« seien, erklärte der Ausschussvorsitzende Christopher Tugendhat am Freitag. »Ein Mangel an verlässlichen analytischen Kompetenzen« in London und Brüssel habe zu »einer katastrophalen Missdeutung der Stimmung« in der Anfangsphase des Konflikts geführt.
Der Westen sei stets von der »optimistischen Prämisse« ausgegangen, dass sich Russland demokratisieren werde, hieß es weiter. Auf dieser Grundlage seien die Russland-Kompetenzen sowohl im britischen Außenministerium als auch in den Außenämtern anderer EU-Staaten zurückgefahren worden. Dies habe dazu beigetragen, dass die EU keine »entschiedene Antwort« auf das Vorgehen Russlands in der Ukraine gegeben habe. Weiter hieß es, die britische Regierung sei in dem Konflikt »nicht so sichtbar gewesen, wie sie es hätte sein können«.
Das Außenministerium in London wies die Vorwürfe zurück. Die britische Regierung habe eine »führende Rolle« bei der Verhängung von Sanktionen gegen Russland gespielt, teilte eine Sprecherin mit. Zudem setze sich London in der EU weiter für eine »starke und gemeinsame Antwort auf die russische Aggression« ein. Am Donnerstag hatte Verteidigungsminister Michael Fallon gewarnt, Russland könne eine ähnliche Strategie wie in der Ukraine anwenden, um die baltischen EU- und Nato-Mitglieder Estland, Lettland und Litauen zu destabilisieren. AFP/nd
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