Größer, schwerer, protziger

Matthias Dell über Tatort-Statistiken und die Frankfurter Folge »Das Haus am Ende der Straße« – die zu lange braucht, um zu den Verbrechensvarianten und Koalitionsmöglichkeiten vorzustoßen

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Tolle am »Tatort« ist, dass er seit über 40 Jahren ein in sich geschlossenes Regelsystem bildet, das fortlaufend aktualisiert wird. In dem kann man sich bewegen und Sinn finden. Ausgiebig tut das die hier schon öfter erwähnte Internetseite tatort-fundus.de, die noch entlegenstes Wissen zum »Tatort« in Zahlen gießt und damit bewunderbar macht. Aus durchaus aktuellem Anlass – sind gerade so viele Abgänge, weil so viele Neustarts sind (die Statistik über Abgang/Neustart-Dichte pro Jahr reichen wir Gelegenheit nach) – findet sich auf tatort-fundus.de eine instruktive Betrachtung der Arten, wie Ermittler aus der Reihe scheiden, inklusive eines überzeugenden Tortendiagramms.

»In 61 Prozent der Fälle bleibt für den Zuschauer völlig offen, was mit den Ermittlern nach dem Ende ihres letzten Tatort-Falles geschieht«, lautet der tröstlich unspektakuläre Befund der Untersuchung. Wird eine Erklärung für den Abschied angeboten, lautet die am häufigsten: »Dienst quittiert« (10 von 79, also 13 Prozent). Da meldet sich ein Rest von Selbstbestimmtheit, der den Protagonisten einer populären Reihe am Anfang ins Rollenprofil geschrieben wird.

Weil die Analyse zum Ende von Berlins Felix »Soffy« Starck (Boris Aljinovic) im November letzten Jahres angefertigt worden ist, muss sie nun leicht korrigiert werden: Mit »Das Haus am Ende der Straße«, dem siebten und letzten Fall von Fränki Steier (Joachim Król) aus Frankfurt, erhöht sich die Zahl der »Dienstquittierer« auf 11 von 80 (macht dann 14 Prozent).

Król musste das Ding in Bankfurt, begonnen 2011, bekanntlich ja allein zu Ende bringen, nachdem Nina Kunzendorf als allerfescheste Conny Mey schon nach fünf Folgen wieder in den Sack haute (2013). Um kurz noch beiden Zahlen zu verweilen: Rekordverdächtig dürfte der Abstand zwischen der vorletzten und letzten Steier-Folge gewesen sein (413 Tage).

Und damit endlich rein in die Partie. Steier präsentiert sich in »Das Haus am Ende der Straße« (HR-Redaktion: Liane Jessen, Jörg Himstedt) konsequent desolat, also ziemlich genau so, wie wir ihn im Frankfurter »Tatort« kennengelernt haben; dem Regiment von König Alkohol ist er nie recht entkommen. Vor Gericht verwirkt der Wodka-Konsum seine Aussage gegen Kinder-durch-die-Wand-Erschießer Nico Sauer (auf interessante Weise deviant: Maik Rogge), weshalb der gelackmeierte Gesetzeshüter durchaus erwägt, Gerechtigkeit nach Feierabend zu besorgen, als Rogge einfach so zu erschießen.

Aus der moralisch intensiven Frage, wie sich Recht und Gerechtigkeit, Schuld und Strafe miteinander verrechnen lassen, baut sich der »Tatort« (Buch: Erol Yesilkaya, Michael Proehl, Regie: Sebastian Marka) nun sein eigentliches Haus: es ist das neben dem am Ende der Straße. Darin wohnt Poller (Armin Rohde), der auch mal Polizist war, Familie hatte, bis der Bub am Heroin zugrunde ging und die Frau sich scheiden ließ, und folglich noch weniger zu verlieren hat als Fränki Steier.

Bedeutet: Er kann sich viel ungenierter zum Richter seines eigenen Gerechtigkeitsempfindens aufschwingen, als ihm der misslungene Einbruch von Nico, Nico-Bruder und Nico-Bruders-heroinsüchtige-Freundin beim reichen Langenbrock (Steffen Münster) das dynamische Trio ins Haus führt. Man merkt dem Gehäuse Poller, das über die Arbeit Steier gestülpt wird, den Reiz an: Wie sich mit den rigiden Interessen, die Poller hat (der Nico-Bruder ist vernünftig und darf nicht ins Gefängnis müssen) die Geschichte ganz anders erzählen lässt, der Mord von hinten aufgezäumt werden könnte.

Spieletheorie ist seit Yanis Varoufakis ja in aller Munde. Aber der Film braucht zu lange, um zu seiner eigentlichen Erzählung zu gelangen, in die Verhandlungen gehen, zu den Verbrechensvarianten und Koalitionsmöglichkeiten vorzustoßen. Es mangelt an äußeren Zwängen, die der geprellte Zitze (interessante Besetzung: Wolfgang Michael) oder die ihren Fränki vermissende Polizei repräsentieren könnte. Am Ende kommt die Kavallerie dann fast zu fix, und das Vermächtnis von Poller, dem Nico-Bruder noch eine Chance zu geben, wird unentschieden doch noch umgesetzt: Schleicht's euch am Großeinsatz vorbei. Peter Kurth in Zeitlupe ist vermutlich auch nicht das Bild, mit dem zu den Gute-Nacht-Geschichten von Günther Jauch übergewechselt werden sollte. Insofern entdeckt man dann und wann den unleidlichen Wolfgang »Herr Offer, reden Sie nicht« Schäuble in sich. Oder um es freundlicher zu sagen: »Das Haus am Ende der Straße« lässt die letzte Konsequenz vorm Tor vermissen.

Und wie werden wir uns an Fränki Steier erinnern? Als Mario Gomez der jüngeren »Tatort«-Geschichte: Als es endlich losgehen sollte mit der Karriere als Supersturmspitze, war's schon wieder vorbei.

Eine Freude, die vom Dschungelcamp übrig geblieben ist:
»Die gute alte Walther.«

Ein Ausruf, der im Schloss Bellevue wohnt:
»Das ist Freiheit, Junge, Freiheit.«

Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Kannst du mal aufhören, mich zu duzen.«

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