Die Salafisten und die Mobster

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.
Die rechtschaffene deutsche Öffentlichkeit fürchtet sich seit vielen Jahren vor der Parallelgesellschaft gewaltbereiter Muslime. Sie entsteht aber nicht einfach aus dem Nichts, sondern ist ein Produkt von Diskriminierung. Ähnlich ging es den Italienern einst in den Vereinigten Staaten.

Salafisten und IS-Anhänger im Lande scheinen dem deutschen Angstbürger Bestätigung zu geben. Ja, es gibt muslimische Mitbürger, die sich in eine Parallelgesellschaft zurückziehen. Die sich abwenden von dem Kulturraum, in dem sie aufgewachsen sind. Ob sie diese Wahl aus freien Stücken treffen, ist eine völlig andere Frage. Welche Wahl hat man, wenn man fast sein gesamtes Leben lang diskriminiert wird und als Vertreter eines »minderen Volkes« zählt? Wenn man »Eseltreiber« und »Kümmel« genannt wird und ganz genau merkt, dass man auf »anständigen Wegen« wohl nie zu einer sozialen Stellung kommen wird, die man sich für sich gewünscht hat? Das ist der Rohstoff, aus dem man Parias macht. Und ein wenig erinnert die Situation der Muslime in Deutschland an die, die die Italiener vor vielen Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten vorfanden.

Deutsche und irische Immigranten konnten Anfang des letzten Jahrhunderts vergleichsweise leicht in der neuen Gesellschaft Fuß fassen. Italiener hingegen galten als »mindere Rasse«. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts werden sie regelmäßig Opfer von Lynchmorden und rassistischen Verfolgungen. Vorurteile zwingen sie in schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse. Sie werden Müll- oder Lumpensammler, arbeiten auf dem Bau oder verdingen sich als Erdarbeiter. Obwohl gemessen am Bevölkerungsanteil nur relativ wenige Italiener straffällig werden, gelten sie für die »White Anglo-Saxon Protestants« (WASP) als die geborenen Kriminellen. Hinter jedem Italiener wittern sie ein Mitglied der Mafia. Die gab es zu jener Zeit aber noch gar nicht als zentrale Verbrecherorganisation über dem Atlantik. Ihr Ruf aus Italien eilte ihnen voraus. Doch wo immer ein Italiener an einem Verbrechen teilnahm, glaubte man schon die berühmte Untergrundorganisation am Werk.

Für viele Italiener wurde der Weg in die Kriminalität im Laufe jener Jahre eine echte Alternative. Die Gesellschaft versperrte die Wege. Ressentiments genehmigten keine Lockerung. Man konnte ein kleines Auskommen in der Legalität erreichen. Hoch hinaus ging es aber für junge italienische Männer nur, wenn sie sich illegal betätigten. Die Prohibition war dann gewissermaßen ein Schmiermittel für diese Haltung. Ein Großteil der Mobster und der Racketeers der Dreißiger- und Vierzigerjahre kam aus diesem diskriminierten Milieu. Die Kriminalität und der Kodex der Cosa Nostra waren für Italiener nicht nur Flucht, sondern Möglichkeiten, doch noch irgendetwas im Leben zu erreichen. Es war eine Parallelgesellschaft, in der sie was galten, aufgehoben waren und eine Aufgabe erhielten, die über Tellerwaschen und Müll sortieren hinausging.

Ein wenig erinnert die Situation der Moslems in Deutschland an die Italiener der damaligen Jahre. Sie erleben dieselbe gesellschaftliche Stigmatisierung. Werden an den Rand gedrängt. Sie finden schwerer Arbeitsplätze, denn mit einem arabischen Namen sind Bewerbungen aussichtsloser. Manchmal reicht es im Alltag einem Gespräch in der Straßenbahn zu lauschen und schon ahnt man, dass für viele Menschen Moslems nichts weiter als geborene Verbrecher sind. Strauchdiebe und Gewalttäter, denen man nicht über den Weg trauen sollte und die dauernd straffällig werden. Manche geraten auf die schiefe Bahn. Aus Resignation. Wie ihre deutschen Leidensgenossen aus der Unterschicht auch. Andere wählen jetzt bewusst jenen Weg, der ihnen einen neuen Kodex auferlegt. Radikalisierung als Ausweg aus dem Dilemma des deutschen Alltagsrassismus: Für viele scheint das ein Weg zu sein.

Später eröffneten sich auch für die Nachfahren italienischer Einwanderer gesellschaftliche Möglichkeiten. Sie stiegen in politische Ämter auf und erreichten Positionen in der Verwaltung. Aber das geschah nur, weil der anti-italienische Rassismus abflaute. Wann hört der islamophob geprägte auf?

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