Arg stereotyp
Utopien sind Ideen von einer anderen Welt. Weil es dummerweise eine bessere sein soll, gilt »utopisch« als Synonym für unerreichbar. Insofern passt der Begriff ganz gut zu John de Mols »Newtopia«, in dem die übliche Containerladung auf Krawall gecasteter Knallchargen seit vorigem Montag eine neue Gesellschaft gründen soll. Noch besser schien er aber das Ziel zu umschreiben, mit 100 Kameras dem Quotenkeller am Vorabend zu entkommen. Doch siehe da: Fast drei Millionen Zuschauer wollten die verlorene Lebenszeit der Bewohner und ihres Publikums sehen. Neugierde halt.
Die indes fehlte bei Beckmann, dessen Rückkehr ins Reich des Journalismus zur ARD-Primetime kaum die Hälfte davon sehen wollten, vollends. Von der jungen Zielgruppe ganz zu schweigen, der man mit Themen wie IS-Kämpfern in Nordirak oft nur dann kommen braucht, wenn sie als Feinde auf der Spielkonsole laufen. Dem Durchschnittsjugendlichen dürfte daher auch entgangen sein, dass NDR und BR Stunden zuvor den Dokumentarfilm-Oscar für »Citizenfour« von Laura Poitras über den Leidensweg Edward Snowdons gewonnen haben.
Weniger preiswürdig dürfte sein, was Johannes B. Kerner am kommenden Samstag (7.3.) als neue Idee zu irgendwas mit Kindern anbietet. Und das, obwohl er wirklich alles tut, um für die ZDF-Brettspielshow »3 bis 99« Aufmerksamkeit zu erzielen. An seiner Seite moderiert schließlich jemand namens Schweiger. Gut, es ist nur Emma, Tils Jüngste, die sich dank väterlicher Protektion zum breit aufgestellten TV-Star mausert. Aber Prominame ist Prominame. Also ist eine prominente Begleitung in den einschlägigen Boulevardmedien garantiert, die sogar umfangreicher sein dürfte als das zweite Monstermegathema der anstehenden Fernsehwoche. Es heißt - international anschlussfähig »The Team« - und ist der Versuch des ZDF, sein Programm mit skandinavischer Hilfe kosmopolitischer zu gestalten. Drei kooperierende Ermittler aus Belgien, Dänemark und Deutschland haben es ab Sonntag (8.3.) mit einer politischen Mordserie zu tun, die im grenzübergreifender Gemeinschaftsarbeit aufklärt wird. Dass die versiert inszenierte Hatz mit Mats Mikkelsens Bruder Lars trotz Autoren, Regisseuren, Produzenten aus seiner dänischen Heimat dennoch arg deutsch, also stereotyp aussieht, liegt an zweierlei: Der Besetzung des deutschen Parts mit der schönen, aber überforderten Jasmin Gerat. Und einer Komplettsynchronisation, die der belgischen Hauptdarstellerin Veerle Baetens bei der Vorstellung in Hamburg eine Wutrede aufs entseelte Endprodukt entriss.
Aber dieses Schicksal teilt »The Team« mit allen Importprodukten von Rang, deren Verhunzung durch theatralische Übersetzung versaut wird. Zwei Formate aus dem Norden Europas sind dennoch unbedingt empfehlenswert diese Woche. Zum einen die schwedische Krimikomödie »Sound of Noise« am (8.3., Tele5), in der ein hörempfindlicher Kommissar vier Schlagzeuger verfolgt, die seine Stadt terrorisieren. Zum anderen die hinreißende Politserie »Borgen«, die Arte ab Mittwoch (4.3.) wiederholt.
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