Spricht das Zünglein an der Waage arabisch?
Israels palästinensische Parteien treten bei der Wahl am 17. März erstmals mit gemeinsamer Liste an
Der Polizist und der Junge mit dem Palästinensertuch werden sich einfach nicht einig. Fast eine halbe Stunde lang stehen sie nun schon auf dem Platz in der Mitte von Umm al-Fahem, und reden aufeinander ein: »Du bist Teil der Besatzung«, ruft der junge Mann; »jeder, der wählt, ist Teil der Besatzung.« Der Beamte gibt zurück: »Sei realistisch: Du lebst hier; willst du, dass dein Schicksal von anderen bestimmt wird?«
Die Gräben, die durch den arabischen Teil der israelischen Gesellschaft verlaufen, sind tief: Die einen dienen als Polizisten, Richter, Diplomaten, gar beim Militär. Die anderen lehnen jede Form von Unterstützung für den Staat Israel ab. Und zwischendrin gibt es viele, wohl die meisten, die mit ihrem Verhältnis zu Israel, zu Palästina ringen. Die sozialen Probleme des Landes, die Einschnitte in den Sozialhaushalt treffen den arabischen Bevölkerungsanteil hart; mit dem am Ende gescheiterten, Nationalstaatsgesetz zielte die Rechts-Mitte-Koalition von Premierminister Benjamin Netanjahu sogar direkt auf den Status der Nichtjuden im Staat ab.
Doch auf der anderen Seite ist das Gefühl weit verbreitet, dass dieser Staat nicht der eigene Staat ist, und man, wenn man sich in diesen Staat einbringt, die Besatzung, nicht nur der palästinensischen Gebiete, sondern auch der eigenen Lebenswelt mitträgt.
Jahrzehnte lang spielten sich diese Prozesse weitgehend außerhalb der breiten Öffentlichkeit ab. Doch nun ist eine Situation entstanden, in der die Araber in Israel entscheiden könnten, ob dessen nächster Regierungschef von der Linken oder der Rechten gestellt werden wird und damit auch, ob es Fortschritte in der Sozialpolitik und im Friedensprozess geben kann.
Die Arabische Liste war erst im Januar aus den drei bislang im Parlament vertretenen arabischen Parteien gebildet worden. Bis zu 15 Mandate werden ihr bei den Wahlen am 17. März vorher gesagt; Sitze, die zur Bildung einer Mitte-Links-Koalition wohl zwingend gebraucht werden. Will sie diese, müsste die Liste wenigstens nach der Wahl Präsident Reuven Rivlin empfehlen, den Sozialdemokraten Jitzhak Herzog mit der Regierungsbildung zu beauftragen, und dann seine Regierung im Parlament bestätigen. Doch Herzog lässt keinen Zweifel daran, dass er die arabische Liste am liebsten als vollwertige Koalitionspartnerin hätte: »Die Zeit ist reif dafür. Die Rechten versuchen auszugrenzen, wir möchten integrieren.« Seit Wochen spricht man bereits über eine mögliche Zusammenarbeit; dass die Arabische Liste dem Präsidenten Herzog empfehlen wird, gilt mittlerweile als gesetzt.
Eine direkte Regierungsbeteiligung ist aber nicht nur in der arabischen Gemeinschaft, sondern auch bei deren politischen Vertretern heftigst umstritten. »Es ist schwer vorstellbar, dass wir in eine Koalition eintreten«, sagt Ahmed Tibi, der wohl bekannteste und angesehenste arabische Politiker in Israel: Selbst bei der rechten Partei »Jüdisches Heim« finden seine Gesetzesinitiativen immer wieder Unterstützung, und das, obwohl sich Tibi als »Antizionist« bezeichnet. Und mit Herzog verbindet ihn eine jahrelange enge Arbeitsbeziehung. Trotzdem: »Die Voraussetzungen sind aktuell nicht vorhanden. Solange es die Besatzung gibt, ist unseren Wählern eine direkte Regierungsbeteiligung nicht zu vermitteln«, sagt Tibi. Und dann sei noch der Name, den sich das Linkslager - die Arbeitspartei und die kleine, zentristische HaTnuah - gegeben hat: »Zionistische Union« (ZU).
Die Strategen des Bündnisses wollen damit die Liste als wahre zionistische Partei darstellen und an das Gesellschaftskonzept erinnern, das Theodor Herzl einst entwickelte und das nur zu einem geringen Teil umgesetzt wurde. Die rechten Parteien hätten Zionismus zum Synonym für Siedlungsbau und Besatzung gemacht, so ein Wahlkampfberater.
»Wir sind auf der Suche nach einem Mechanismus, der es uns ermöglicht, eine Mitte-Links-Regierung von außen zu unterstützen«, sagt Tibi. Denn man sehe durchaus Bereitschaft bei der ZU, auf die Bedürfnisse der Araber einzugehen: »In den Gesprächen, die wir hatten, haben sich sehr tiefe Debatten über das Verhältnis von Arabern und Juden entwickelt. Das Angebot, daran mitzugestalten, ist sehr attraktiv.«
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