Mmmh, Brasilien
Matthias Dell über das öffentlich-rechtliche Sonntagabendkrimi-Raumschiff und den Rostocker Polizeiruf »Sturm im Kopf«
Der Erfolg des ARD-Sonntagabendkrimis ist ein wenig paradox. »Tatort« und »Polizeiruf« laufen und laufen, weil sie immer wieder bei null anfangen können – und, wenn's nicht mehr fetzt oder auch nur was Neues her soll, die Ermittler, manchmal auch den Schauplatz wechseln. Serien haben dagegen, um sich ein terminologisches Tweed-Jacket beim gerade verstorbenen Fritz J. Raddatz auszuleihen, ihren Erzählhorizont irgendwann »ausgeschritten«.
Paradox ist nun, dass die Geschichten in Serie gerade gehen wie nichts Gutes: »Breaking Bad« und Pipapo – gegen die Möglichkeiten, in die Breite der Personals und die Tiefe der Zeit zu erzählen, sieht ein in sich abgeschlossener 90-Minuten-Film alt aus. Das öffentlich-rechtliche Sonntagabendkrimi-Raumschiff haben diese Kometen der Fernsehunterhaltung geschrammt, insofern bei jüngeren Schauplätzen versucht wird, gewisse dramaturgische Bögen über mehr als eine Folge zu halten. Ganz neu ist das nicht, die meisten Teams der letzten 25 Jahre sind mit Vorstellungen ihrer Macher an den Start gegangen, die sich irgendwann oder auch bald erledigt haben (die weißgrauen Onkels aus München waren mal krasse Yuppies).
Als Ausdruck eines gewissen Untertanengeists (Mächtiges, I like!) könnte man nehmen, dass immer zuerst »Dortmunder 'Tatort'« gesagt wird als Beispiel für das seriellere Erzählen unter denen Sonntagabendkrimi-Reihen – etwa von der Nominierungskommission für den diesjährigen Grimme-Preis »Fiktion«. Dabei, würden wir hier zumindest immer argumentieren, ist der Rostocker »Polizeiruf« (NDR-Redaktion: Daniela Mussgiller) in diesem Feld viel länger dabei und besser drauf.
Schon weil die Charaktere kerniger sind, das Ensemble der Figuren um Plautze Bukoff (Charly Hübner) und Frau König (Anneke Kim Sarnau) beziehungsweise unter Chief Röder (der große Uwe Preuss) präzise entworfen ist mit den Kollegen Everybody's Volker (Josef Heynert) und »Averell« Pöschi (Andreas Günther). Bekanntlich kam es in der letzten Folge, wozu es kommen musste: Die Affäre, die Everybody's Volker, der sich als Best Buddy von Bukoff um dessen Frau zu intensiv kümmerte, flog auf.
Die gute Nachricht ist, dass die Luft aus dem Rostocker »Polizeiruf« deshalb nicht raus ist. Die neue Folge »Sturm im Kopf« (Drehbuch: Florian Oeller, Regie: Christian von Castelberg) schlägt sich tapfer, wo doch jeder Bayern-München-Fan (Mächtiges, I like!) weiß, dass die Motivation nach der Gala am schwersten fällt.
Die Spannung zwischen Bukoff und Volker gefällt, vor allem weil sie so unentschieden darüber ist, wie sich der Verrat des einen (Volker) und der Schuss des anderen (Bukoff, auf Volker) wieder zu einem entspannten Umgang verabreden sollen. Dass Vivienne sich von Bukoff trennen will, unsere durch jahrelanges ZDF-Gucken (»Schwarzwaldklinik« bis »Katie Fforde« – ohne Unterbrechung) trainierten Wiederversöhnungsgefühle also enttäuscht werden, ist das andere, konsequente Signal.
Nur Pöschi, der irgendwie sympathische, weil immer auch unfähige Intrigant seiner eigenen Ambitionen, wird in »Sturm im Kopf« nach unserem Geschmack etwas zu platt interpretiert: Das Anklampfern bei der so ehrfurchtsvoll schönen Vorstandsassistentin Sandra Rottmann (Philine Roggan) geht am Ende zu einfach und souverän für die männliche Figur aus, deren Problem eine gewisse Selbstüberschätzung ist.
Die Geschichte von »Sturm im Kopf« ist nicht unoriginell gestaltet: eine Politik-Wirtschaft-Schweinerei, der im Finale zwar die Mittel für den großen Skandal fehlen (Kann ein Sonntagabendkrimi tatsächlich glaubwürdig höchste Tiere verhaften?), die sich bis zu diesem Punkt aber gut kombiniert mit Bezügen zum Früher von Rostock (DDR) und dem von Frau König (Versetzung vom LKA). Und als Metapher fürs Rätselraten, das im Krimi wesentlich ist, stiftet der »dissoziative Zustand« aka »die Fuque« von IT-Mann Schwarz (Christian Friedel) interessant Verwirrung: Einen Zeugen zu haben, der den Bezug zu seiner Erinnerung verloren hat, ist eine schöne Variation der Standards.
Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Das machst du sauber«
Eine Überleitung, mit der man auf Stehpartys reüssieren könnte:
»Ja, whatever«
Ein Wunsch, der nicht ein Wunsch ist, den die NSA hat:
»Ich hätt jetzt gern 'ne Fugue«
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