Putin-Stalin-Vergleiche erwünscht

Bei den Grünen wächst der Unmut über die Osteuropapolitik der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.
Teilnehmer einer Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung haben einen härteren Kurs der westlichen Staaten gegenüber Russland gefordert. Auch bizarre Vergleiche stießen auf allgemeine Zustimmung.

Ludger Volmer lehnte dankend ab. An einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung anlässlich der Krim-Annexion durch Russland vor einem Jahr wollte der frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt nicht mitwirken. »Diese Konferenz ist Teil des Problems, nicht der Lösung«, teilte der Grünen-Politiker mit. Ein Blick auf die Teilnehmerliste und die Fragestellung genügte ihm offenbar, um zu verstehen, dass eine kontroverse Debatte im Haus der parteinahen Stiftung nicht erwünscht war. Diese fragte am Montagabend, »weshalb die Aggression gegen die Ukraine ein Angriff auf Europa ist«. Nach Bemühungen um eine diplomatische Lösung des Konflikts klang das nicht.

Als einzigen Schuldigen für den Krieg in der Ostukraine hatte die Gesprächsrunde Russlands Präsidenten Wladimir Putin ausgemacht. Bernard Kouchner, der als Ex-Kommunist und späterer französischer Außenminister unter dem konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy eine ähnliche Wandlung vollzogen hat wie viele deutsche Grüne, meinte, dass der Westen die Sanktionen gegen Moskau verschärfen solle, wenn die Vereinbarungen von Minsk für einen Frieden in der Ukraine scheitern sollten. »Es muss auch mehr Unterstützung für die ukrainische Verwaltung geben und für das Militär«, sagte Kouchner. Die Armee sei nämlich schlecht trainiert und unzureichend auf die Kämpfe vorbereitet gewesen.

Auch Stiftungsvorstand Ralf Fücks hat sich Gedanken darüber gemacht, wie die sogenannten prorussischen Separatisten in der Ukraine zurückgeschlagen werden können. Er forderte unter anderem eine Verständigung »über die Kontrolle der ukrainisch-russischen Grenze unter Beteiligung internationaler Kräfte«. Von den deutsch-französischen Gesprächsinitiativen unter Einbeziehung Russlands hält Fücks hingegen offenbar nicht viel. Verhandlungen seien für Putin »nur eine Methode, die erzielten Geländegewinne zu sichern und weitere Zugeständnisse auf Kosten der Ukraine zu erpressen«.

Aus Sicht des US-amerikanischen Historikers Timothy Snyder ist die gesamte EU von Russland bedroht. Der Yale-Professor wiederholte vor dem Publikum der Böll-Stiftung, was er vor Kurzem in der »FAZ« verbreitet hatte. Josef Stalin habe mit dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt versucht, »Adolf Hitler gegen Europa zu wenden«. Nun versuche »Putin dasselbe mit einem Mischmasch rechtsgerichteter Kräfte«, lautete Snyders wirre These. Obwohl Kritik an Putin und seinen ebenfalls autoritär ausgerichteten europäischen Freunden durchaus berechtigt ist, war dieser Vergleich absurd. Doch was sogar in der CDU, deren Rechtsaußenfrau Erika Steinbach vergangenes Jahr für ihren Vergleich von Putin mit Hitler und Stalin parteiintern kritisiert worden war, für Empörung sorgt, gehört bei Veranstaltungen der Böll-Stiftung offenbar zur Normalität.

Viele Grüne sind davon aber nicht begeistert. Der Parteilinke Robert Zion aus Nordrhein-Westfalen veröffentlichte auf der Nachrichtenwebsite Heise Online einen kritischen Text zur Konferenz der Böll-Stiftung und warf ihr eine »Netzwerkbildung mit US-Falken und Neokonservativen« vor, die »auf transatlantischem Eskalationskurs mit Russland« seien.

Zion verwies auf eine Veranstaltung mit dem Titel »Den Atlantizismus in Zentraleuropa beleben«, die im Oktober 2014 in Washington stattfand. Dazu eingeladen hatte das »Center for European Policy Analysis«, gesponsert wurde sie unter anderem von der US-Energie und -Rüstungsindustrie. Eine Referentin war die US-Diplomatin Victoria Nuland, die Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet. Wenige Wochen später schloss auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck eine solche militärische Unterstützung nicht aus. Beck, die mit Ralf Fücks verheiratet ist, und deren gemeinsame Tochter Charlotte Beck, die im Washingtoner Büro der Böll-Stiftung Programmdirektorin für den Bereich Außen- und Sicherheitspolitik ist, waren die einzigen deutschen Teilnehmer der US-Veranstaltung gewesen.

Zion kritisierte, dass die Stiftung eine »Nebenaußenpolitik« betreibe und Fücks den Kurs der Grünen nach rechts beeinflussen wolle. Dagegen wenden sich immerhin Teile der Grünen-Basis. Einen Brief an die Partei- und Fraktionsführung, der auch kritische Passagen zur Böll-Stiftung enthält, haben inzwischen mehr als 400 Grüne unterzeichnet.

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