Der Elefant im Porzellanladen des Fußballs
Die Kindheit ist ein beneidenswerter Zustand. Ein Wald ist in der kindlichen Phantasie mehr als eine Ansammlung von Bäumen, die Schokoladen-Eier kommen von sehr weit her, nur nicht vom Aldi um die Ecke. Schlimm ist es, wenn Kinder zu ahnen beginnen, dass eine Welt voller Feen und Zauberer, voller Weltraum-Klone und Weihnachtsmänner letztlich nach sehr schlichten, sehr trivialen Regeln funktioniert. Wer einem 8-Jährigen, der all das längst weiß, im April erzählt, dass es den Osterhasen eigentlich doch gebe, erntet Spott und Häme – und einen klitzekleinen sehr eindringlichen Blick. Voller Hoffnung, dass da draußen vielleicht doch so etwas wie Magie sein möge.
Am Sonntag ist der Fußballspieler Wolfram Wuttke im Alter von 53 Jahren gestorben. Die Todesursache – multiples Organversagen in Folge einer Leberzirrhose – deutet darauf hin, dass ein sehr begabter, aber leicht verhaltensauffälliger Kicker zuletzt ein paar traurige Jahre verbracht hat. Natürlich wurde der Tod eines Mannes, der 300 Bundesligaspiele auf dem Buckel hatte, in allen Tageszeitungen der Republik vermeldet. Doch man kann zwei Nachrufe lesen oder 22 – nicht einer davon deutet daraufhin, dass irgendein Journalist oder irgendein ehemaliger Mitspieler in den letzten Jahren noch Kontakt zu ihm hatte. Die neuesten Anekdoten, die aus Wuttkes Leben kolportiert wurden, stammen aus den 80er Jahren.
Am Montag dann die nächste Meldung: Mit Hilfe eines Freiburger Arztes soll über Jahre hinweg systematisch gedopt worden sein. Nicht im Radsport, nicht im Kraftsport, nein in der einzigen Sportart der Welt, die in den Augen von Abermillionen Süchtigen von Natur aus vor Doping gefeit ist. Zumal in Deutschland, wo schon die Trikots der Nationalmannschaft so schön weiß sind.
Sonntag, Montag ... Dienstag. Ein Tag, an dem wieder Fußball gespielt wird. Der VfR Aalen spielt gegen Hoffenheim, Dynamo Dresden gegen Borussia Dortmund. Das sind mal Neuigkeiten. Neuigkeiten, die schon am Mittwoch Morgen das Doping in die Kurzmeldungen abrutschen lassen werden. Und statt über Wolfram Wuttke wird wieder über das Selbstbild der Branche gesprochen. Spätestens am kommenden Wochenende wird irgendeiner wieder das kuriose Trugbild von der »Fußball-Familie« bemühen.
Vielleicht sollte man Kindern nicht so früh erzählen, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Sonst werden sie später Fußballfans.
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