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Western ohne Weichzeichner
John Williams: Auch der Vorgänger seines Erfolgsromans »Stoner« ist lesenswert
John Williams (1922-1994), der texanische Autor von vier Romanen, ist ein Mann für Wiederentdeckungen und deutsche Erstausgaben. Vor zwei Jahren war »Stoner« erschienen, ein Roman, im Original 1965 von der Kritik gut aufgenommen, aber wegen schwachen Verkaufs in der Versenkung verschwunden. Wie viele Bücher.
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* John Williams: Butcher’s Crossing. Roman. A. d. Am. v. Bernhard Robben.
dtv. 365 S., geb., 19,90 €.
Fast ein halbes Jahrhundert später wird der Reprint zum Hit. Mehrere Hunderttausend Exemplare in über 20 Ländern. Bisher. Über die Ursachen dieser Spätzündung schrieb Bret Easton Ellis: »›Stoner‹ erfasste die vielen Enttäuschungen, die das Leben eines Menschen begleiten. Das klingt deprimierend, doch das war dieses Buch nicht, weil wir uns mit Stoner identifizieren und weil seine Misserfolge unseren eigenen Fehlschlägen ähneln.«
Das Buch war die Geschichte eines Farmersohns im frühen 20. Jahrhundert. Er entdeckt die Leidenschaft zur Literatur sowie die Liebe zum Lehrerberuf und will trotz vieler Enttäuschungen durch Wissensgewinn wachsen. Sein Leben erzählt Williams so ruhig und klar, streng und ernsthaft, so resolut und resigniert, dass es viele fesselte. »Stoner« war die Geschichte eines Mannes, der seine Kräfte nie über- und gegebene Zwänge nie unterschätzte und trotzdem eine eigene Spur zu ziehen suchte.
In seiner Heckwelle nun erscheint erstmals auf Deutsch sein Vorgänger »Butcher’s Crossing«. Er kam - im Original - ursprünglich 1960 heraus. Die Frage, ob es sich nur um einen verlegerischen Abstaubversuch im warmen Glanz des »Stoner«-Lichts handelt, kann man verneinen. »Butcher’s Crossing« besitzt inhaltliche wie gestalterische Berührungspunkte zu seinem berühmten Nachfolger, vor allem aber eigene Qualität.
Es handelt sich um einen literarischen Western, der zehn Jahre nach dem Bürgerkrieg (1861-1865) in Kansas und Colorado spielt und mit dem jugendlichen Helden (und Erzähler) William Andrews einen Protagonisten mit Stoner-Eigenschaften besitzt: Der junge Mann kommt aus dem Osten, hat ein Harvard-Diplom in der Tasche, Emersons Naturliebe im Kopf - und den festen, noch schwer erklärbaren Willen zu persönlicher Reife. Intelligent, aber naiv, ausdauernd, aber verträumt, antwortet er auf die Frage, was ihn nach Westen trieb: »Ich will einfach mehr über dieses Land herausfinden.«
Das Greenhorn mit der Gabe zu staunen, zu lernen und bereit, Fehlschläge einzustecken und sich nicht umwerfen zu lassen, zieht mit drei anderen auf Büffeljagd in ein weltfernes Tal in Colorado. Die Männer erlegen und häuten in mehrwöchigem Gemetzel fast fünftausend Bisons, werden von einem Blizzard in den Untergrund und beinahe in den Untergang gezwungen, bevor sie auf dem Heimweg im Wildwasser ihre Fuhre, »die Arbeit eines ganzen Winters … in nicht mal zwei Minuten verlieren« und in Butcher’s Crossing erfahren, dass auch die anderen, noch in Colorado lagernden Felle keiner mehr will. Ihr Auftraggeber, pleite, fragt Mr. Miller, den Anführer der Heimkehrer: »Wissen Sie noch, wie das mit dem Biber war? … Sie haben doch früher Biber gefangen, oder nicht? Als man aufhörte, Biberhüte zu tragen, konnte man Biberfelle nicht mal mehr verschenken. Nun, offenbar hat jetzt jeder einen Mantel aus Büffelfell, der einen haben wollte, und die Felle sind nicht mehr gefragt.«
Die Härte von Land und Leben, ohne den Schmus der Klischee-Western, bestimmen das Buch ebenso wie, ähnlich »Stoner«, die lakonische, schmucklos dichte Sprache seines Verfassers. Detailreiche, drängende Schreibe, Realismus bis an die Schmerzgrenze, ohne jede Gier nach Zitattauglichkeit, der Protagonist verwundert und verwundet vom Scheitern, aber klaglos bereit, Neu- und Wissbegier fortleben zu lassen, weiterzumachen, wiederaufzustehen.
Diese auf Selbstbeherrschung und Selbstzucht zielende Haltung, dieser Stoizismus im Angesicht wiederholten Verlusts taucht »Butcher’s Crossing« - auch darin »Stoner« ähnlich - in eine nüchterne Melancholie, die auf noch größere Einschläge gefasst ist. Der Gleichmut erzeugt ein Gefühl existenzieller Vergeblichkeit wie bei Cormac McCarthy. Das wird manch einen auch zum Widerspruch ob so viel Fatalismus veranlassen, weil er darin zu viel Schicksalsergebenheit des Einzelnen sieht.
Doch Hand aufs Herz: Gewöhnen uns nicht täglich gesellschaftliche Entwicklungen an bislang Unvorstellbares, neue Entgleisungen an bisher Undenkbares? John Williams thematisiert diesen Verfall der Fassungslosigkeit. Erst in »Stoner«, danach, nein, davor, in »Butcher’s Crossing«.
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