Entschlossene Grüße aus Griechenland
Grigoris Tsilimantos will die Einweihungsfeier stören und wünscht sich ein Europa der Aufstände und Kämpfe um Befreiung
nd: »1803 - ich nehm mir frei«, damit mobilisiert Blockupy nach Frankfurt. Warum nehmen Sie sich frei?
Tsilimantos: Frei nehmen? Machen Sie Witze? Wir haben unendlich Zeit. Nicht, dass wir die Lohnarbeit lieben, aber die Zeit der Arbeit ist aktuell fast nicht existent. Also: Ich klaue keine Zeit, sondern habe sie.
Hat sich seit der Wahl von SYRIZA in Griechenland etwas verbessert?
Nach dem Wahlsieg von SYRIZA haben die Menschen aufgeatmet. Sie hoffen, dass sich ihr Leben jetzt etwas verbessert, aber das hat sich noch nicht bestätigt. Viele setzen Hoffnung in SYRIZA, weil sie erwarten, dass ein Dritter ihre Probleme löst. Ich selbst erwarte nichts von den Institutionen. Meine Hoffnung gilt der Selbstorganisierung, die sich in der Krise entwickelt hat. Diese Bewegung hat neue Inhalte und findet außerhalb von Markt und Staat statt.
Warum protestieren Sie in Frankfurt, wenn Sie von den Institutionen keine Änderung erwarten?
Die EZB ist eines der politökonomischen Finanzzentren und Pfeiler der Europäischen Union. Sie ist eng verbunden mit der Gegenwart Europas. Sie ist dafür mitverantwortlich, dass Tausende Menschen leiden mussten. Dagegen muss man Widerstand leisten. Ich glaube nur nicht, dass man durch Regulierung etwas an ihrer Politik ändern kann. Ich glaube nicht, dass sie jemals zur Veränderung der Verhältnisse zwischen Arm und Reich beitragen wird. Denn die EZB steht für eine bestimmte Vision von Europa. Dieses Europa hat zwei Gesichter. Auf der einen Seite Kolonisierung, Krieg, Ausbeutung der 3. Welt, Repression. Und die andere Seite: Konsum, Individualisierung, Ordnung, Kontrolle.
Was ist Ihre Vision?
Es ist das Europa der Aufstände und der Kämpfe um Befreiung. Wir finden uns in Frankfurt ein als eine Allianz der Solidarität, als Gegengewalt zur Gewalt der Herrschenden.
Was erwarten Sie von den Aktionen?
Da ich schon mal bei den Protesten gegen die EZB mitgemacht habe: Diesmal sind die Zustände kritischer. Und widersprüchlicher, sowohl in der Politik als auch bei den Demonstranten selbst. Die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert sich, viele leben unter dem Armutsniveau, aber auch die oberen Schichten sind von der Krise betroffen. Auch in Deutschland. Wir erhoffen uns nicht einen typischen, sondern einen entschlossenen Widerstand. Blockupy selbst ist eine polymorphe Bewegung mit Widersprüchen. Wir werden in den Frankfurter Krisenprotesten unsere antiautoritäre Sicht stark machen.
Werden Sie den Deutschen etwas Bestimmtes sagen?
Beim letzten Mal hab ich meinen Lieblingspullover vergessen. »Ich schenke euch als Gegenleistung den Kriegskredit.« Aber Spaß beiseite. Gewisse Kräfte versuchen, in Frankreich Marine Le Pen eher erfolgreich, in Deutschland Pegida eher weniger erfolgreich, aus der Krisensituation Kapital zu schlagen. Es gibt viele verschiedene Deutsche. Mich interessieren die Deutschen, die kämpfen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die unterschiedlichen Lebensstandards nicht bestimmt werden durch das Verhältnis von Nord- zu Südeuropa, sondern von der Bestimmung der Mächtigen.
Was würden Sie zu Angela Merkel sagen, wenn Sie sie treffen würden?
Mir fällt kein Grund ein, warum ich sie treffen sollte. Mich interessiert nur, dass etwas auf der Straße passiert. Das gleiche gilt für Mario Draghi. Warum sollte ich einen armen Vorarbeiter treffen wollen, der bald wertlos sein wird? Wenn er irgendwann kein EZB-Präsident mehr ist, wird keiner mehr seinen Namen kennen.
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