Eigenständig zu mehr Autonomie
Mit dezentralen Ansätzen versuchen Kommunen in Tansania, sich unabhängiger zu machen
In der ländlichen Karagwe-Region im Nordwesten Tansanias sind Wirtschaft und Familienleben von Landwirtschaft, Einzelhandel und dörflicher Gemeinschaft geprägt. Arbeitsplätze gibt es vor allem im Einzelhandel oder Kleinbetrieben zwischen Marktbetrieb, Handwerk, Restaurant, Taxiservice oder Haarsalons. Die Dörfer bleiben weitgehend von der staatlichen Infrastruktur des Landes unterversorgt, junge Menschen mit Aufstiegschancen wandern in die Städte ab und die Gemeinden müssen sich daher stärker als in städtischen Regionen selbst verwalten und versorgen.
Lokale Nichtregierungsorganisationen (NRO) springen dort in die Bresche, wo der Staat nur lückenhaft agiert. Die NRO sorgen dafür, dass Ressourcen, Kapital und Wissen in die Kommunen kommen. Dabei wollen sie weder von internationalen Geldgebern abhängig bleiben, noch sich mit dem mangelnden politischen Willen oder Mitteln der Regierung in Daressalaam herumschlagen. Beides - ein willkürlich geschaffener Nationalstaat mit einer korrupten Elite sowie die Verarmung der Bevölkerung - sind späte aber dauerhafte Folgen von Ausbeutung, Verwüstung und Traumatisierung durch weiße Europäer in Jahrhunderten des Kolonialismus und zwei exportierten Weltkriegen. Und auch die globale Wirtschaftsordnung von heute nützt abgesehen vom Globalen Norden vor allem der tansanischen Elite, nicht aber der Mehrheitsbevölkerung. Ihre Arbeit verstehen die lokalen Initiativen als Self-Empowerment (Selbstbefähigung): durch eigene Initiativen und Wertschöpfung wieder zu Selbstbestimmung und Autonomie gelangen, wobei Menschen aus der Gemeinde für die Gemeinde arbeiten.
In den Dörfern Kayanga, Omurushaka und Mwabuere beispielsweise berät KARUDECA (Karagwe Rural Development and Environmental Conservation Agency) die Familien vor allem zu Mikrokrediten. Geschäftsführer Steven Revelian erklärt: »Wir trainieren unternehmerische Fähigkeiten mit ihnen, sodass sie mit ihren persönlichen Ressourcen ein Einkommen erzeugen können. Sie legen ihr Geld zusammen, beraten über die sinnvolle Verwendung und kaufen Anteile. Jeder der Geld nimmt, muss es mit Profit zurückbringen und am Jahresende teilen sie die Dividende auf. So kann jemand, der Geld für die Schulgebühren seiner Kinder oder für Medizin braucht, darauf zurückgreifen.« Langfristig vermehre sich so das kollektive Vermögen der Gemeinden und die gegenseitige Kontrolle helfe, das Einkommen nachhaltig zu steigern. »Das Wichtigste ist zu verstehen, dass wir nicht ewig auf Geldgeber angewiesen sein können«, sagt Revelian. »Wir müssen unsere eigenen Ressourcen nutzen, um unsere Gesellschaft zu befreien - egal wie klein sie sind. Wir erwarten äußere Geldgeber als Bonus, aber wenn Menschen kommen, um uns zu helfen, dann sollen sie uns schon auf dem richtigen Weg vorfinden.«
Ähnlich sieht es auch Yona Bayo von der Organisation CHEMA (Community Habitat Environmental Management Programme). Er arbeitet als Imker mit Dutzenden Dörfern in der Karagwe-Region und bringt den Menschen den Bau von Bienenstöcken sowie den Umgang mit Bienen und das Ernten von Honig bei. Der Honig dient nicht nur dem Eigenverbrauch und für den begrenzten lokalen Markt, sondern wird über CHEMA landesweit und an internationale Kunden verkauft. »Dies ist eine der einfachsten Aktivitäten, die jeder hier machen kann«, sagt Bayo, »es kostet nicht viel und man erntet zwei Mal im Jahr. Deshalb wollen viele Gruppen hier lernen Bienenstöcke zu bauen.«
Adam Byaruhanga, Gründer und Manager der Nichtregierungsorganisation HAWEH (Gesundheit, Landwirtschaft, Wohlstand, Bildung für den Menschen) in Kayanga wiederum veranstaltet Aufklärungs-Workshops über Hygiene, sexuelle Gesundheit und die Wichtigkeit von Schulbildung. Er erklärt, dass vor allem Frauen und Mädchen aufgrund der wirtschaftlichen Bedingungen von Armut und mangelnder Gesundheitsversorgung betroffen sind. Sie müssen oft zu Hause bleiben, wenn Geld für die Schule fehlt und sie leisten den Löwenanteil der (unbezahlten) Arbeit, da ihre Erziehung nicht als wichtig angesehen wird. Die Workshops sollen den Familien auch außerhalb der Schule eine grundlegende Erziehung bieten.
Doch auch in der Hauptstadt Daressalaam gibt es solch gemeindebasierte Organisationen. Ein Beispiel ist BORDA (Bremen Overseas Research and Development Association), die von der deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) gefördert wird. Das Abfallverwertungsprojekt wird als Gemeinschaftsbetrieb geführt, in dem zehn Menschen arbeiten und sich kollektiv finanzieren. Sie sammeln in ihrem Stadtteil den Bioabfall und Plastikmüll. Für das Abholen des Biomülls werden sie bezahlt, für das Plastik bezahlen sie wiederum selber, denn es wird gebündelt und weiter verkauft. Der Biomüll wird zerhäckselt und zu Kompost verarbeitet, welcher wiederum an Farmer verkauft wird. Leonidas Deogratius, Umweltingenieur und Leiter der Einrichtung erklärt: »Das Einkommen durch die Gebühr und den Verkauf von Plastik soll bald alle Kosten decken. Die Gruppe muss sich dann selbst finanzieren, organisieren und die Anlage instand halten. Wir haben nur die Investitionskosten getragen und sie trainiert. Letztlich soll die Gemeinde für sich selbst arbeiten.« Doch noch hapert es an breiter Akzeptanz für das Projekt, denn viele Bewohner wollen nicht für einen Service zahlen, den ihrer Meinung nach die Regierung finanzieren sollte.
Die lokalen Akteure betonen die Vorteile von solchen kleinen, dezentralen Ansätzen, die im Umfeld von einzelnen Gemeinden arbeiten. Zum einen garantiere die enge Abstimmung mit den EndnutzerInnen, dass die Lösungen akzeptiert werden, zum anderen ist jede Region sehr spezifisch was die vorhandenen Ressourcen, Gewohnheiten und Bedürfnisse angeht. Daher gehe es bei Entwicklungsarbeit nicht darum, Allgemeinlösungen zu finden. Das Ziel ist, langfristig die lokale Wertschöpfung zu sichern, sodass Kommunen weder von den nationalen noch internationalen Mitteln abhängig sind, sondern sich nach ihren Bedürfnissen autonom organisieren können.
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